Gerhard Trabert ist bekannt als sozial und politisch engagierter Arzt und seit 2021 auch als parteiloser Bundespräsidenten-Kandidat der Linken. Aktuell kandidiert er im Spitzenteam der Partei Die Linke für die Europawahl. Freundlicher Weise hat er uns die folgenden Fragen beantwortet und bei der Gelegenheit auch unseren Aufruf unterzeichnet. Vielen Dank!

 

 


Lieber Gerhard Trabert, du setzt sich für die medizinische Versorgung wohnungsloser und nicht krankenversicherter Menschen ein – beispielsweise als Arzt im Arztmobil und in der Ambulanz ohne Grenzen.
Dort hast du sicher auch manchmal Kontakt mit Menschen aus der Prostitution. Kannst du uns ein Erlebnis beschreiben, welches dich besonders berührt hat? 

Gerhard Trabert: Eine Frau, die als Prostituierte arbeitet, nahm Kontakt zu uns auf und schilderte eine Reihe von gravierenden Beschwerden. Sie sei nicht krankenversichert und wisse einfach nicht mehr, was sie tun könne. Mitarbeiter unseres Ambulanz-Teams besuchten die Patientin in ihrer kleinen Wohnung. Es war sofort klar, dass diese Frau aufgrund des Erkrankungszustandes sofort stationär behandelt werden muss. Wir initiierten eine Krankenhauseinweisung und versprachen dem Krankenhaus uns um eine Krankenversicherung zu kümmern und gegebenenfalls uns an den Behandlungskosten als Verein auch zu beteiligen. Es wurde eine fortgeschrittene Krebserkrankung diagnostiziert. Eine Woche nach der Krankenhauseinweisung verstarb die Patientin. .

Was sind deiner Erfahrung nach die häufigsten Gründe dafür, dass ein Mensch in die Prostitution gerät?

Gerhard Trabert: Meinen Erfahrungen und vielen Studienergebnissen zur Folge ist es in 90% der Fälle Armut, eine persönliche Notlagensituation und Menschenhandel!

In Norwegen ist Bordellbetrieb seit 1896 verboten – in Deutschland war es schon immer erlaubt, an der Prostitution anderer Geld zu verdienen. Der Staat verdient sogar mit. Was denkst du darüber?

Gerhard Trabert: Zahlreiche europäische Länder haben das sogenannte Nordische Modell eingeführt. Die Schweden waren die ersten, die dies Anfang der 90-Jahre taten. Das Modell verbietet Bordellbetrieb, Zuhälterei und Sexkauf. Es werden bei entsprechenden Vergehen immer nur die Freier und Organisatoren, nie die sich prostituierenden Menschen strafrechtlich verfolgt. Zu diesem Modell gehören auch differenzierte Ausstiegshilfen. Dieses Modell hat sich nachweislich bewährt. Das gesellschaftliche Bild der Frau ist deutlich intensiver von Respekt geprägt und hat den objektdominierten Blick von Frau als Sex-Ware abgelöst.

Weshalb findest du es nicht ok, wenn Männer Sex kaufen?

Gerhard Trabert: Sexualität ist etwas Wundervolles und zutiefst Menschliches. Es sollte aber immer auf beiderseitiger Freiwilligkeit beruhen und nicht die Notsituation eines Menschen ausnutzen!

Die Gewalt, die Prostitution ausmacht, wird von PolitikerInnen und Medien oft totgeschwiegen. Stattdessen wird viel von freiwilliger Sexarbeit geredet. Was muss geschehen, damit mehr Menschen die Gewaltförmigkeit der Prostitution (an)erkennen?

Gerhard Trabert: Der Dialog mit sich prostituierenden Menschen ist das entscheidende. Die betroffenen Menschen – und zwar in einem geschützten Kommunikationsraum – befragen. In meinen Gesprächen mit betroffenen Frauen, mit Frauen, die aus der Prostitution ausgestiegen sind, hieß es immer wieder, Prostitution ist staatlich genehmigte Vergewaltigung. Ich denke, dass diese Einschätzung die Dimension der Gewalterfahrung gut fokussiert wiedergibt.

Gerhard Trabert 19.3.2022

Gerhard Trabert zur Prostitution