Anlässlich der Wahlen zum Parteivorstand auf dem Bundesparteitag der LINKEN am 28./29.5.2016 haben wir den KandidatInnen einige Fragen zu ihrer Haltung zu Prostitution gestellt. Die Antworten finden sich in den Reitern unten. Die Fragen lauteten wie folgt:

1) Ist für dich Prostitution ein „Beruf wie jeder andere“ oder eine Form sexueller Gewalt?
Und wie begründest du diese Positionierung?

2) Ist eine Gesellschaft ohne Prostitution für dich ein erstrebenswertes Ziel?

3) Wie stehst du zum so genannten „Nordischen Modell“?
(umfangreiches Maßnahmenbündel aus: Entkriminalisierung der prostituierten Personen, Kriminalisierung der Freier („Sexkaufverbot“), finanziell gut ausgestattete  Unterstützungsangebote für beide Seiten, antisexistische Erziehung in allen Bildungsstufen, …)

(Mehr Informationen: Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik von Februar 2016 zu Geschichte und Effekten des nordischen Modells: http://www.uib.no/sites/w3.uib.no/files/blatter_bestraft_die_freier_februar2016_0.pdf)

4) Unterstützt du unsere Forderung nach einer ausgewogenen Debatte,
in der auch die sich organisierenden AussteigerInnen aus der Prostitution und andere abolitionistische ExpertInnen (zum Beispiel aus der Beratungspraxis, Traumapsychologie etc.), sowie Frauen- und Menschenrechtsorganisationen zu Wort kommen, und nach einer basisdemokratischen Findung einer Parteiposition?

Liebe GenossInnen,

ich muss sagen, dass ich es nicht richtig finde, diese Art von „Wahlprüfsteinen“ mit einer solchen Detailtiefe (was zum Beispiel ist das „Nordische Modell“ ?) jetzt auch innerhalb der Partei einzuführen. Wenn ich euch fragen würde, ob ihr als ersten Schritt zu einem generellen Rüstungsexportverbot lieber den Export in bestimmte Länder oder den von bestimmten Waffentypen verbieten wollt (was einen großen Unterschied machen würde!) – dann würdet ihr sicherlich dazu eine vertrauensvolle GenossIn mit Fachexpertise befragen und am Ende dann eher deren Meinung wiedergeben – was ja auch richtig ist, kein Problem damit. Aber nichts anderes passiert sicherlich auch bei euren Wahlprüfsteinen – ihr könnt nicht davon ausgehen, dass alle, die jetzt für den PV kandidieren, sich intensiv mit der Frage Prostitution auseinandergesetzt haben – und das sollen sie auch gar nicht, denn wir brauchen in vielen Themenfeldern Menschen, die sich jeweils dort gut auskennen.

Deshalb hier meine Antworten in der gebotenen Kürze – wenn ihr meine Antworten veröffentlicht, dann bitte auch mit dieser Vorbemerkung.

1) Es ist kein Beruf wie jeder andere und kann eine Form sexueller Gewalt sein. Ich weiß aber von Frauen, die sehr deutlich für ihr Recht eintreten, als Sexarbeiterinnen anerkannt zu werden. Ihre Forderungen nach gesicherten Arbeitsbedingungen und -rechten scheinen mir nachvollziehbar. Da ich mich nicht weitergehend mit dem Thema beschäftigt habe (und auch nicht die Kapazitäten habe, das in naher Zukunft zu tun), kann ich das aber nicht abschließend beurteilen.

2) Ja

3) Das Modell kenne ich leider nicht, möchte mich aber darin jetzt auch nicht einarbeiten und kann es deshalb nicht bewerten.

4) Ja

1) Dazu muss man zwischen freiwilliger Sexarbeit und Zwangsprostitution unterscheiden. Jeder Mensch sollte das Recht haben über seinen Körper und sein Leben frei zu bestimmen und wenn er/sie freiwillig die Entscheidung trifft als Sexarbeiter*in zu arbeiten, ist das sein/ihr gutes Recht. Wenn ein Mensch hingegen zur Prostitution gezwungen wird, handelt es sich um sexuelle Gewalt, da die Person in diesem Moment nicht mehr selbst über ihren Körper verfügt sondern eine andere Person.

2) Nein, für mich ist eine Gesellschaft, in der niemand mehr ausgebeutet wird ein erstrebenswertes Ziel. In dieser Gesellschaft muss sich niemand prostituieren weil er/sie sich durch seine finanzielle Lage dazu gezwungen sieht oder dazu von anderen Menschen gezwungen wird, aber wer diesem Beruf nachgehen möchte, kann das tun und wird dafür nicht mehr moralisch verurteilt.

3) Trotz Entkriminalisierung der prostituierten Personen ist dieses Modell faktisch ein Berufsverbot, da die Freier kriminalisiert werden. Man kann schließlich schlecht etwas verkaufen wenn man keine Käufer hat. Stattdessen sollte man sich darauf konzentrieren Personen die sich prostituieren und Aussteiger zu unterstützen. Das gilt auch für das kürzlich in Deutschland verabschiedete „Prostituiertenschutzgesetz“, mit dem Sexarbeiter*innen nicht geschützt, sondern kontrolliert (faktisch durch den Staat gestalkt), stigmatisiert und entmündigt werden.

4) Ich finde interessant, dass hier – wie in dem bei Frage 3 zitierten Dokument – nicht in Betracht gezogen wird aktive Sexarbeiter*innen zu Wort kommen zu lassen und ich wünsche mir eine Debatte in der auch sie gehört werden und nicht Außenstehende einfach darüber bestimmen was sie dürfen und was nicht. Ja ich bin für eine ausgewogene Debatte und das muss eine Debatte sein, die Sexarbeiter*innen zu Wort kommen lässt, denn eine Debatte über Sexarbeit ohne Sexarbeiter*innen ist vieles, aber nicht ausgewogen.

Ich unterstütze Eure Initiative für eine Welt ohne Prostitution. Insbesondere begrüße ich, dass Ihr eine breite Debatte über Prostitution fordert. Dies scheint mir besonders notwendig, da das Thema in der Öffentlichkeit eher tabuisiert wird. Insofern sollte die LINKE besonders das „Nordische Modell“ und das darin enthaltene Sexkaufverbots in die gesellschaftliche Diskussion einbringen.

1) Weder noch. Die Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere und ist mit der Unterdrückung der Frauen im Kapitalismus verbunden. Es ist aber auch keine sexuelle Gewalt, oder Vergewaltigung, weil Frauen sich aus welchen Gründen auch immer dafür entschieden haben. Viele Frauen prostituieren sich aber aus ökonomischen Gründen. Die Lebenssituation der Frauen in der Armuts- und Beschaffungsprostitution hat nichts mit einem einigermaßen selbstbestimmten Leben, oder gar einer sexuellen Befreiung zu tun. Sexuelle und ökonomische Gewalterfahrungen gehören bei vielen Frauen zum Alltag.

Hier kann DIE LINKE sich stark machen für mehr geschützte Wohnungen, mehr Rechte und Förderung von Frauen. Für anonyme Gesundheits-, Ausstiegs- und soziale Beratung, mit Umschulungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Prostituierte und für ein selbstständiges Aufenthaltsrecht für Frauen. Gleichzeitig hilft der Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit, gegen den Niedriglohnsektor, gegen Lohndumping gerade in „Frauenberufen“ und für den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung, den Druck zur Prostitution aus ökonomischen Gründen zu bekämpfen.

2) Prostitution gehört zu allen Klassengesellschaften, also auch zum Kapitalismus, zusammen mit Frauenunterdrückung und entfremdeter Sexualität. Ich denke, dass erst in einer klassenlosen Gesellschaft die Grundlage geschaffen werden kann für eine Gesellschaft ohne Prostitution.

3) Das nordische Modell, dass den Kauf von Sex kriminalisiert, hat nicht zum Rückgang bzw. dem Verschwinden der Prostitution geführt. Durch das Gesetz gibt es erhebliche Nachteile für die in der Prostitution weiterhin tätigen Frauen. Die staatliche Unterstützung für betroffene Frauen mit Beratungs- und Ausstiegsangeboten, wie ursprünglich im Gesetz vorgesehen, wurde nicht umgesetzt.

Ich finde wir müssen unsere Energie auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Schaffung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, sowie eine Verbesserung des Aufenthaltsrechtes richten.

Auch das so genannte „Prostituiertenschutzgesetz“, wie es die Große Koalition vorgelegt hat, schützt nicht Prostituierte, sondern gefährdet sie letztlich. Ich befürchte, dass es vor allem zu einer Stärkung der staatlichen und polizeilichen Überwachung führt.

4) Grundsätzlich sollte die Positionsfindung durch eine ausgewogene Debatte stattfinden. Dabei gibt es aber auch in der LINKEN mehr Positionen als die abolitionistische auf der einen und die pro Prostitution auf der anderen Seite.

Ein „Beruf wie jeder andere“ oder „sexuelle Gewalt“? – Ich würde das weder in die eine noch andere Richtung so absolut beantworten, weil es bedeuten würde, für die Frauen und Männer zu sprechen, die der Prostitution oder Sexarbeit nachgehen. So wie es Frauen und Männer gibt, die aufgrund ökonomischer Ausbeutungsverhältnisse der Prostitution nachgehen, gibt es eben auch Frauen und Männer, die diesen „Beruf“ auch dann wählen würden, wenn sie andere Möglichkeiten des Gelderwerbs hätten. Daher handelt es sich aus meiner Sicht nicht immer um eine Form sexueller Gewalt, auch wenn das in der überwiegenden Zahl von Fällen so sein mag.

Grundsätzlich wünsche ich mir natürlich eine Gesellschaft, in der sich niemand gezwungen sieht, aufgrund ökonomischen Zwangs der Prostitution nachzugehen. Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung müssen daher bekämpft werden, ohne aber SexarbeiterInnen zu kriminalisieren. Ob das „Nordische Modell“ zu einer Lösung der mit Prostitution verbundenen Probleme beitragen kann, kann ich nicht einschätzen, da ich mich damit bislang nicht ausreichend beschäftigt habe. Für eine ausgewogene Debatte, bei der die verschiedenen Positionen gehört werden, bin ich immer. Ich bin aber wiederum nicht sicher, ob man den Betroffenen mit der Findung einer Parteiposition gerecht werden kann, eben weil deren Erfahrungen und Auffassungen sehr unterschiedlich sind.

Ich bin eine der LISA-Sprecherinnen NRW. Wir haben vor einiger Zeit ein Positionspapier dazu veröffentlicht, das m.E. die richtigen Fragen stellt. Die Grundposition des Papiers teile ich noch immer.
Deshalb schicke ich Euch den Link dazu:

1) 1. Der Kapitalismus hat als elementare Grundlage die Verwandlung der Arbeit in eine Ware. Diese Verwandlung gelingt nur durch eine gewaltsame Aufspaltung in „abstrakte Arbeit“, die verkauf- und verwertbar ist und die konkrete Arbeit, die einen Gebrauchswert, also irgendeinen persönlichen oder gesellschaftlichen Nutzen, befriedigt. Darin ist IMMER ein Gewaltverhältnis begründet und IMMER ist der Verkäufer oder die Verkäuferin der Arbeitskraft, der oder die als Mensch ja Träger beider Arten von Arbeit ist, gezwungen, nicht nur „die Arbeitskraft“, sondern seinen/ihren ganzen Körper zu verkaufen. Diese Unmöglichkeit, in der Körperlichkeit die aufgezwungene Teilung in abstrakte und konkrete Arbeit nachzuvollziehen wird im Bewusstsein der ArbeiterInnen mit der Entfremdung von der Arbeit und von sich selbst beantwortet. Der Arbeiter und die Arbeiterin erlebt im Arbeitsprozess seine Negation und in der Entfremdung die Negation der Negation. Oder um es in den heute oft benutzten Worten zu sagen: Es ist kein Glück, LohnarbeiterIn zu sein, sondern ein Pech. Es gibt keine „gute“ oder „faire“ Lohnarbeit, wie uns die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsführung immer so gerne weismachen wollen. Außerhalb des Zwangsverhältnisses Lohnarbeit gibt es natürlich unendlich viel aufbauende, nicht entfremdete und privat wie gesellschaftlich nützliche Arbeit. Vom Grillen auf dem Balkon bis zur Betreuung einer -Fußballgruppe usw. Die Lohnarbeit ist aber immer ein Zwangsverhältnis und niemand geht dieses Verhältnis freiwillig ein, sondern nur, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Teilung in Arbeitskraft- und ProduktionsmittelbesitzerInnen, einschließlich Erziehung und ideologischer Gehirnwäsche, es verlangen und gleichzeitig noch schönreden.

Zum Begriff der „Freiwilligkeit“ der Lohnarbeit genügt es, die Urteile der Arbeitsgerichte anzuschauen. Sie sind insofern ehrlich, dass sie nicht von einer Waffengleichheit zwischen ArbeitskraftkäuferIn und ArbeitskraftverkäuferIn ausgehen, sondern von einem zu regelnden Zwangsverhältnis. Ein Unternehmer darf vorm Gericht z.B. nicht sagen: „Aber meine Backwarenverkäuferinnen freuen sich doch, wenn sie mal freiwillig länger arbeiten können.“ (In der Fernsehtalkshow – so geschehen vom Großbäcker Kamps – darf er natürlich so etwas sagen und nur äußerst selten bekommt er dafür von einem seiner „Mädchen“ eine gescheuert.)

Das ist die Regel im Kapitalismus. Sie gilt für alle Formen der Lohnarbeit, auch für Sexarbeit in einem industrialisierten Betrieb für sexuelle Dienstleistungen (Marx hatte in seiner beschränkten Sicht als schlimmste Form häufiger die „Revuetänzerin“ im Auge, die für einen Revuetanzbetriebbesitzer arbeitet). Diese Regel gilt aber auch für Scheinselbständige und KleinstunternehmerInnen, wie sie heute zumindest in den Städten des entwickelten Kapitalismus in der Prostitution häufig anzutreffen sind.

Es gibt, obwohl der Kapitalismus die weltweit die dominierende Produktionsweise ist, allerdings auch heute noch andere Formen der Ausbeutung der Arbeit, die auch ein fürchterliches Gewaltverhältnis sind, aber die die Trennung in abstrakte und konkrete Arbeit nicht so erledigen, wie die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware. Es gibt Sklavenarbeit, wo Mensch und Arbeitskraft als Einheit im Besitz eines Sklaventreibers sind. Laut UNO nimmt diese Arbeit wieder zu, auch in angeblich reichen, zivilisierten und modernen Gesellschaften. Es gibt Leibeigenschaft, bei der auch der Mensch und seine Arbeitskraft als Einheit in einen zeitweilige Besitz des Lehnsherren gerät. Sehr verbreitet und stark zunehmend ist heute die Schuldknechtschaft. Eine Form der Leibeigenschaft, in der insbesondere Kinder zeitweilig an Gläubiger ihrer Eltern „verliehen“ werden, um als SklaveIn solange zu dienen, bis eine Schuld abgetragen ist. Viele Mädchen und Jungen in Asien geraten auf diese Weise in die Prostitution – entweder, weil sie gleich als „Sexsklavin“ (ich mag dieses Wort gar nicht, weil es einfach nur Sklaven sind, die sexualisierte Aufgaben verrichten sollen) arbeiten müssen, oder nach Abtragung der Schuld keine andere Existenzgrundlage für sich mehr finden als die Prostitution.

Es gibt letztlich im konkreten Kapitalismus auch Mischformen dieser Ausbeutungsverhältnisse. Sie finden sich auf dem grauen Markt von Arbeitskraft- und Sklavenverkäufern. Selbst die in Deutschland einigermaßen regulierte Leiharbeit ist manchmal noch eine solche Mischform. Auch der höchstbezahlte Fußballprofi, der faktisch im Besitz eines Vereinsbesitzers ist, erlebt eine solche Mischform der Ausbeutung – auch wenn er dafür ein sattes Schmerzensgeld erhält.

2. Der Kapitalismus kennt aber noch eine zweite fürchterliche „Normalität“, die er aus seinen geschichtlichen Vorläufergesellschaften wie Sklavengesellschaft oder Feudalismus, übernommen und mit seiner „Modernität“ verknüpft hat: Die massive Unterdrückung der Sexualität als Mittel der Herrschaftsausübung. Ich bin nicht unbedingt kompletter Anhänger der Theorien von Sigmund Freud oder Wilhelm Reich, aber ihre grundsätzlichen Ausarbeitungen über die Unterdrückung der Sexualität und die Entwicklung ganzer Ersatzsysteme der Bedürfnisse und Phantasien im Unterbewusstsein finde ich schon sehr richtig. Ein Autor (neben den beiden genannten), der mir dazu immer wieder kluge Sachen geliefert hat, ist Helmut Dahmer.

Warum der Kapitalismus die Sexualität unterdrückt, ist ein großes Feld, das ich hier nicht komplett ansprechen kann. Es hat ganz vorrangig auch viel mit Ökonomie zu tun. Die Zerschlagung der früheren Großfamilien hat neue Arbeitskräfte (z.B. die Frauen) zur Ausbeutung bereitgestellt und mit der Kleinfamilie wurden neue gigantische Märkte für Konsumartikel erschlossen. Gleichzeitig dürfen diese Strukturen nicht komplett zerschlagen werden, weil eine in Milliarden zählende Reproduktion- und Sorgearbeit (überwiegend von Frauen) kostenlos bzw. extrem kostensparend verrichtet wird. Die Verkümmerung der Sexualität, die Schaffung von gedemütigten Menschen, die Auslöschung von kollektiver Lust usw. usf. sind äußerst wichtige Faktoren, um die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse am Leben zu halten. Gleichzeitig sind sie – weil auch das in Warenform verwandelt wird – ein riesiger und wachsender Markt zur Scheinbefriedigung mehr oder weniger sublimierter Bedürfnisse.

Der unvollständige, gedemütigte Mensch ist – trotz aller modernen Unternehmensmethoden, so viel wie möglich aus den Arbeitskräften an Kreativität, und Kraft auszusaugen – auch immer noch der beste Garant für die oben beschriebene gewaltsame Spaltung der Arbeit in konkrete und abstrakte Arbeit und zur Verhinderung aller Arten von Rebellion – vom Krankfeiern bis zu Streik und Revolution.

3. In der Prostitution werden beide dieser „normalen Zwangsverhältnisse“ des Kapitalismus miteinander verwoben. Deshalb ist die Prostitution immer eine Form von Arbeitskraftausbeutung – die heute als Lohnarbeit, Scheinselbstständigkeit, Sklavenarbeit oder Leibeigenschaft vorkommt. Und die Prostitution ist immer ein Zwangs- und Gewaltverhältnis. Dabei ist die in der Mainstreampresse als eigentliche „Zwangsprostitution“ verteufelte Form (also faktische Sklavenarbeit oder Leibeigenschaft) moralisch vielleicht mehr zu verurteilen, strukturell ist es aber das gleiche wie eine Edelnutte im Hostessendienst oder einE „SexarbeiterIn“ in Scheinselbstständigkeit.

Gleichzeitig zwingt der „Markt an sexualisierten Dienstleistungen“, dass auch die individualisiertesten sexuellen Bedürfnisse und Unterbewusstseinsphantasien zu den angebotenen Waren gehören. Das bedeutet ,dass extrem auf Partnerschaftlichkeit angewiesene sexuelle Praktiken, wie der Sadomasochismus, Erziehungsspiele usw., sich auf dem – teilweise sogar noch besonders von Repressionen eingegrenzten – Arbeitsmarkt einlassen müssen, mit dem Ergebnis, dass hier eine zusätzlich Verschärfung des Zwangs- und Gewaltverhältnisses aufkommen kann. Letzteres Problem kann – darauf beziehen sich ja gerne die SchönrednerInnen der Sexarbeit – allerdings auch genau gegenteilig scheingelöst werden: Ohne die Formalisierung in einer Waren- und Geldbeziehung könnte die für solche Sexualpraktiken nötige Partnerschaftlichkeit vielleicht gar nicht hergestellt werden, weil die Jungs und Mädels von der Unterdrückung ihrer Sexualität so gehemmt sind. Auch das hebt das Zwangsverhältnis aber nicht auf, macht es – wiederum nur moralisch betrachtet – vielleicht nur erträglicher.

Deshalb die einfache und kurze Antwort auf die erste Frage: Die Prostitution ist „kein Beruf wie jeder andere“.

2) Ich bin ja noch viel radikaler als du. Ich kann mir eine Gesellschaft ohne Lohnarbeit, ohne Geld- und Warenbeziehungen, ohne Unterdrückung der Sexualität und damit selbstverständlich auch ohne Prostitution vorstellen. Ich kämpfe seit 48 Jahren dafür. Ich glaube, diese Utopie einer klassen- und ausbeutungslosen Gesellschaft ist die größte und unzerstörbare Idee der Menschheit, für die schon Hunderttausende gekämpft haben und auch getötet wurden, aber immer wieder gibt es begeisternde Kämpfe in diese Richtung. Die umfängliche Emanzipation des Menschen, bei der niemand mehr den anderen ausbeutet, ist ein unauslöschbares Motiv und Ziel.

3) Ich kann dem „nordischen Modell“ viel abgewinnen. Und wenn mit dem Mittel der Illegalisierung gearbeitet werden soll oder muss, dann ist der/die KäuferIn der Prostitutionsdienstleistung eine sinnvollere Adresse als die DienstleistungsanbieterInnen.

Auch die Sklavenarbeit, Kinderarbeit und viele Formen der Leiharbeit sind geächtet und finden trotzdem statt. Auch hier wirkt die Illegalisierung natürlich fast nur gegenüber dem oder der „KäuferIn“ oder AneignerIn – dem oder der SklavenbesitzerIn, dem oder der KäuferIn von Leiharbeit. Dem Sklaven das Sklavendasein zu verbieten, hat wohl wenig Sinn. (Es gibt im Übrigen eine interessante Debatte über das Verbot der Kinderarbeit. Nicht wenige derjenigen, die vor Ort mit den KinderarbeiterInnen zu tun haben und für deren Zukunft ohne Gewalt und Ausbeutung kämpfen, sehen das schlichte formale Verbot  des Verkaufes der Kinderarbeitskraft durchaus kritisch und konzentrieren sich auf Aufstiegsprogramme mit den Kinderarbeit kaufenden Unternehmen)

Kriminalisierung hat aber immer einen negativen Beiklang: Sie ist kaum vereinbar mit Aufklärung und produziert immer auch die zwei gegenteiligen Tendenzen, nämlich Flucht in die verdeckte Fortsetzung der Prostitution und Ausbau von Überwachungsapparaten. Beides ist schlecht und gefällt mir nicht. Deshalb müssen die Dinge, die du hier für das „nordische Modell“ aufzählst (Unterstützungsangebote, Aufklärung und Erziehung usw.) schon wirklich funktionieren. Und es müssen die Dinge geschehen, die du nicht ansprichst: kollektive Selbstorganisation der Prostituierten, einklagbare Rechte und nicht nur Charity-.Angebote in dem Prozess des Ausstiegs. Das betrifft natürlich die industrialisierte Form der Prostitution in Großbordellen oder der Pornoindustrie besonders.

Ob dies im „Norden“ der Fall ist, kann ich nicht genau beurteilen. (Ich dachte bisher, oberhalb des Polarkreises, bei Kälte und Dunkelheit, leben sowieso nur Menschen ohne Sexualität, oder solche, die nur zusammengerollt im Eisbärfell kuscheln….)

4) Ja, eine solche Debatte unterstütze ich. Das bedeutet aber, dass diese Debatte mindestens in einem solchen antikapitalistischen Kontext stattfindet, wie ich ihn hier angerissen habe. Läuft die Debatte nur zwischen den Polen „Wie steht die Fraktion zum Gesetzentwurf der SPD“ und „Können wir mit diesem Thema WählerInnen gewinnen“ oder ähnliche Debattenzwangsverhältnisse, dann sollten wir vielleicht nicht all zu viel Zeit damit verschwenden.

Vielen Dank für die Nachricht und die Fragen an uns. Das Thema Prostitution bzw. Sexarbeit ist uns beiden ein Anliegen, dass unserer Meinung nach, weiter in der Partei diskutiert werden muss. Nicht zuletzt die Diskussionen um die Passagen im Europawahlprogramm 2014 haben das deutlich gemacht. Wir stehen hinter der dort beschlossenen Formulierung:

„Menschen, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben und trotzdem erwerbstätig sind, müssen einen Rechtsanspruch auf einen legalen Aufenthaltstitel innerhalb der EU bekommen, wodurch die Erwerbstätigkeit ebenfalls legalisiert werden würde. Von Zwangs- und Armutsprostitution betroffene Frauen und Männer könnten sich durch eine solche Regelung aus ihrer Unterdrückungssituation befreien. Eine Kriminalisierung und Stigmatisierung von sich prostituierenden Personen lehnen wir entschieden ab und fordern europaweit den Anspruch auf Sozialleistungen wie Umschulungen, Weiterbildung und Fortbildung, Arbeitslosengeld sowie freien Zugang zu gesundheitlicher und präventiver Versorgung. Gleiches gilt für verdeckte Prostitution und Frauen in haushaltsnaher Dienstleistung“ (Europa geht anders: sozial, friedlich, demokratisch. Programm zur Europawahl 2014 der Partei DIE LINKE, S. 48f.).

Wir stehen zudem hinter dem Beschluss der Fraktion zum geplanten Prostitutionsgesetz vom 14. November 2014 und dem Antrag an den Bundestag „Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken“ vom 12. Januar 2016. Alles zu finden in diesem PDF: http://www.cornelia-moehring.de/wp-content/uploads/2016/01/160212-Prostituiertenschutzgesetz.pdf.

Eine Debatte, in der alle Seiten zu Wort kommen, in der nicht nur über, sondern mit (ehemaligen) Sexarbeiterinnen diskutiert und die solidarisch und auf Augenhöhe geführt wird, unterstützen wir in jedem Fall. Dazu muss gesagt werden, dass es auf der Bundesfrauenkonferenz 2015 bereits einen Aufschlag gab. Daran müssen wir anknüpfen.

1) Es ist eine Erwerbstätigkeit. „Wie jede andere“ würde ich nicht sagen, weil sie mit besonderen psychischen und physischen Belastungen und Risiken verbunden ist, insbesondere mit dem Risiko sexueller Gewalt. Deshalb ist besondere Regulierung und Kontrolle zum Schutz der Prostituierten notwendig und insbesondere, auch durch entsprechende arbeits- und sozialpolitische Regelungen, dafür zu sorgen, dass niemand dazu gezwungen oder genötigt wird, weil sie oder er keine Alternative sieht Einkommen zu erzielen.

2) Eine Gesellschaft, in der niemand das Interesse entwickelt, mit sexuellen Diensten Geld zu verdienen, und niemand das Bedürfnis, solche Dienste in Anspruch zu nehmen, mag wünschenswert sein, real und realistisch ist sie m.E. nicht. Deshalb halte ich Verbote hier für nicht sinnvoll und befürchte, dass sie ähnlich wie bei der pauschalen Kriminalisierung vieler Drogen oder anderer mit Risiken verbundener Verhaltensweisen eher zu unerwünschten Wirkungen führen.

3) Ich bin da kein Experte. Unterstützungsangebote und antisexistische Erziehung sind sicher sinnvoll. Letztere muss v.a. klarmachen, dass sexuelle Handlungen freiwillig und selbstbestimmt sein müssen und nie erzwungen werden dürfen. Ich halte pauschale Kriminalisierung und Illegalisierung nicht für sinnvoll, weder des Angebots noch der Nachfrage. Ich finde es sinnvoller, mehr für den Schutz der Prostituierten vor Gewalt, Zwang und Auspressung durch Zuhälter oder Vermieter und für eine bessere soziale Absicherung zu tun und an Ausstieg Interessierten mehr Hilfe bei der Suche nach anderen Erwerbstätigkeiten anzubieten.

4) Ich bin dafür, bei Debatten beide bzw. mehrere Seiten zu hören. Also auch die von euch genannten, aber auch diejenigen, die aus eigenem Interesse oder aus wissenschaftlicher Sicht für eine Legalität und liberale Regelungen der Prostitution eintreten. Ansonsten finde ich diese Diskussion zwar interessant, aber nicht dass das ein Hauptpunkt der politischen Arbeit der LINKEN ist oder sein sollte. Jedenfalls ist es nicht einer meiner politischen Schwerpunkte.

Gerne möchte ich Eure Fragen beantworten.

Zuerst möchte ich meine Position darlegen: Ich spreche mich gegen Zwangsprostitution, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel aus. Es muss in unseren Diskussionen über Prostitution deutlich werden, dass wir auf der einen Seite von Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung sprechen, und auf der anderen Seite von Menschen die sich selbstbestimmt für den Beruf der Sexarbeit (Prostitution) entscheiden.

Darin liegt für mich ein wichtiger Unterschied. Ob und warum sich Menschen für diesen Beruf entscheiden, haben wir nicht zu bewerten oder gar zu verteufeln. Im Gegenteil, und das schreibt ihr ja auch sehr schön, wir müssen uns gegen jegliche Stigmatisierung, Moralisierung und Kriminalisierung von Prostituiert*en und für eine gesamtgesellschaftliche Wertschätzung der Prostituiert*en einsetzen.

Genau aus diesem Grund möchte ich keine Bewertung des Berufes vornehmen. Das heißt, für mich ist Prostitution ein Beruf wie jeder andere. Wenn ich mich gegen Stigmatisierung ausspreche, dann ist das für mich nur folgerichtig. Wenn ich mich also gegen sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz ausspreche, dann gilt das für Angestellte in einem Bürohaus, Ärzt*innen oder anderen eben genau so, wie für den Beruf als Sexarbeiter*in. Wenn ich mich für gute Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und fairen Lohn einsetze, dann eben in allen Berufen, also auch in der Prostitution. Der Unterschied ist nur, dass die Arbeits,- und Lebensbedingungen Prostituierter aufgrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung oftmals noch viel schlechter sind, als in anderen Arbeitsbereichen. Davon müssen wir wegkommen. Das sollte unsere Aufgabe als LINKE sein.

Natürlich gibt es Menschen, die feststellen, dass dies nicht ihr Beruf ist, sich aufgrund von Armut dafür entschieden haben, bzw. wünschen sich einen anderen Weg zu gehen. Wie in anderen Berufen auch. Doch auch hier ist es gerade bei Prostituierten und ihrer Stellung in der Gesellschaft nicht einfach. Wir sollten uns dafür einzusetzen, dass Räume bzw. Anlaufstellen für diejenigen, die sich umorientieren möchten geschaffen werden, bzw. Vereine und Anlaufstellen, die bereits existieren, zu unterstützen. Auch das ist Aufgabe der LINKEN.

Nun noch ein paar Worte zum „Nordischen Modell“: Ich halte grundsätzlich eine gesellschaftliche Veränderung über Verbote und Strafen, wie es das Nordische Modell beinhaltet, für keinen geeigneten Weg – also weder die Kriminalisierung der Prostituiert*en noch die der Freier*innen. Denn, wie oben geschrieben, geht es darum, die Bedingungen für Sexarbeiter*innen zu verändern und zu verbessern und nicht zu bewerten, ob dieser Beruf respektabel ist. Somit ist für mich auch die Beantwortung der Frage, ob ich eine Gesellschaft ohne Prostitution für mich als Ziel sehe, obsolet.

Zusammengefasst heißt das: Wir müssen uns dafür einsetzen, dass 1. Sexarbeiter*innen in ihrem Berufsleben abgesichert sind, zb. durch Kranken,- und Sozialversicherung, 2. dass eine gute Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen gegeben sind und 3. sie Anlaufstellen haben bzw. sich organisieren und für ihre Rechte streiten können.

Die Debatte um Prostitution ist, seit es Prostitution gibt, eine schwierige und oftmals sehr emotional geführte Debatte. Ich teile euren Wunsch nach einer ausgewogenen Debatte innerhalb der LINKEN und mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur*innen. Es ist richtig und wichtig uns gemeinsam zum Thema Prostitution zu verständigen.

Für mich gehört es zur Debattenkultur unserer Partei, unterschiedlichen Ansichten Raum zu geben. Dazu gehört natürlich für mich die Einbindung der Diskussion um das „Nordische Modell“ genauso, wie die Partner*innen in Anlaufstellen für Sexarbeiter*innen, Prostituiert*en und Aussteiger*innen usw.. Ein inhaltlicher und sachlicher Austausch über kontroverse Themen ist eine Bereicherung für uns alle.

Puh. Und dann steht man da und weiss nicht so recht, was man antworten soll. Wer befasst sich schon regelmässig mit Prostitution? Beim Lesen der Position in dem in der Email genannten Blog sind mir jedoch sofort ein paar Sachen aufgefallen, die mir deutlich signalisierten, dass ich meine Schwierigkeit damit haben würde. Meiner Meinung nach zuviel schwarz und weiss, Verurteilungen und Widersprüche.

SexarbeiterInnen (oder Prostituierte) sollen in politische Prozesse einbezogen werden, aber den bestehenden Vereinen und Verbänden wird kurzerhand abgesprochen, dies tun zu können. Selbstverwaltete Bordelle werden negiert, um Absätze später einer Vertreterin eines Weltverbandes vorzuwerfen, in der Leitung eines Escort-Services mitzuarbeiten. Kriminalisierung von SexarbeiterInnen wird abgelehnt und ein entstigmatisiertes Umfeld gefordert, um kaum später die Sexarbeit als generell nicht selbstbestimmt und unfrei darzustellen und genau jenes stigmatisierte Umfeld durch Kriminalisierung der Freier zu schaffen. Ja, was denn nun? Ich bin eher etwas verwirrt.

Vieles dessen, was im Allgemeinen “der Prostitution” zugeschrieben wird, also Menschenhandel, Freiheitsberaubung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch bis hin zur sexuellen Belästigung, sind strafbare Handlungen und gehören nach allen Massgaben verfolgt. Schon damit sind Behörden heute oft überfordert. Noch viel zu oft wird den Opfern von sexuellen Straftaten eine Mitschuld zugewiesen, noch viel zu oft behandeln Strafverfolgungsbehörden Opfer von Verschleppung und Missbrauch selbst als Straftäter, namentlich in Bezug auf Visa-Vergehen und “Asylmissbrauch”. Schon hier wäre genug Handlungsspielraum, der deutliche Verbesserungen in diesem Bereich ermöglichen würde. Erst rigide Einreisebestimmungen und Asylgesetze machen ein Umfeld möglich, in dem Menschen in dieser Form erpresst und unterdrückt werden können. Solange Frauen als Opfern von Gewalt und Verschleppung in diesem Bereich auch nach einer Aussage ggü. den Strafverfolgungs-Behörden die Abschiebung winkt haben diese die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Politik und Gesellschaft müssen die soziale Situation der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, thematisieren. Ohne mich näher mit den verschiedenen Statistiken beschäftigt zu haben kann ich mir vorstellen, dass die meisten der im Prostitutionsbereich arbeitenden Menschen selbstverständlich lieber einer “normalen” Arbeit nachgehen würden, dies aber aus verschiedentlichen Gründen nicht können. Dies sollte eine reiche Gesellschaft wie die unsere hellhörig werden lassen und letztlich ermöglichen. Tut sie aber nicht. Hier muss man ansetzen.

Letztlich würde ich den Bereich Sexindustrie nicht gleichsetzen mit Prostitution. Ja, die Sexindustrie ist weithin sexistisch, stellt nur allzu oft Frauen, (gern allerdings auch Männer) als Objekte und Waren dar. Doch wie die Gesellschaft ändert sich auch der Blick auf und der Konsum in der Sexindustrie und von z.B. Pornografie. Es gibt für meine Begriffe zu viele Facetten in der Sexualität, auch in der entsprechenden Industrie, um sie derart pauschal wie in dem in der Frage genannten Artikel abzuurteilen. Was ist mit den ganzen Sex-Spielzeugen, mit denen Paare heute ihr Sexleben verbessern? Was ist mit nicht ganz so “normalen” Spielarten? Wie passen BDSM Clubs und Domina in dieses Raster von gut und böse? Was ist mit freier Entfaltung und sexueller Emanzipation, dem Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper? Helfen in diesem sensiblen, weil grundmenschlichen Bereich Verteufelungen und Verbote? Ich habe hier zumindest mehr Fragen als mir dieser Artikel, Position genannt, ausreichende Antworten zu geben vermag.

Ja, es handelt sich bei der Geschichte der Prostitution um eine Geschichte patriarchaler und kapitalistischer Ausbeutung. Auch. Es handelte sich allerdings immer auch um eine Geschichte der Emanzipation. Und mit der Gesellschaft ändert sich natürlich auch die Sexindustrie und die Prostitution. Heute gibt es (auch) den Escort-Service für die Frau, vom Mann für den Mann, und für allerlei Spielereien dazwischen und darüber hinaus. Es gibt gar Agenturen, die sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen anbieten. Ich will dies alles nicht so pauschal ab- oder gar verurteilen.

Insofern: Nein, ich teile “die Position” nicht, dieses Feld scheint mir zu vielschichtig, um es so oberflächlich und einseitig abzuarbeiten wie in diesem Statement. Wenn man es auf einen einfachen Satz bringen will, und dass muss Politik ja können:

Es gibt ‚gute‘, weil selbstbestimmte und ’schlechte‘, weil fremdbestimmte Prostitution. Ich will nur die ‚gute‘. Es gibt unterdrückende und emanzipierte Sexualität. Ich will die emanzipierte. Dies gilt dann auch für die entsprechende Industrie.

Ich will natürlich noch versuchen, die vier in der Anfrage angefügten Fragen zu beantworten:

Frage 1

Ja und Nein. Ja, wenn man sie als patriarchales kapitalistisches Ausbeutungsverhältnis betrachtet. Nein, wenn man den im Unterschied zu anderen “normalen” Tätigkeiten drastisch bestehenden Anteil an Gewalt, Erniedrigung und Zwang vor allem in Bezug auf in dieser Tätigkeit arbeitenden Frauen sieht.

Frage 2

Je nach dem wie weit man den Begriff fasst. Eine Gesellschaft ohne Unterdrückung, Zwang und Gewalt ggü Frauen (und Männern) ist für mich ein erstrebenswertes Ziel. Eine Gesellschaft ohne sozialen und ökonomischen Zwang ist für mich auch ein erstrebenswertes Ziel. Mit beidem hat Prostitution zu tun, beides ist nicht auf diese beschränkt. Prostitution ohne all dies halte ich allerdings (und ob der genannten bestehenden Vielfältigkeit) für legitim.

Frage 3

Die meisten in der Klammer angeführten Forderungen kann ich ohne Wenn und Aber unterstützen, die Kriminalisierung der Freier und damit ein “Sexkaufverbot” nicht. Weil dies wie bei allen Kriminalisierungen dazu führt, dass sich der inkriminierte Akt aus dem Sichtbaren ins Unsichtbare verlagert. Zumal der Akt an sich ja gar nicht kriminalisiert werden soll, sondern Begleitumstände, die in den meisten Fällen schon kriminalisiert sind. Die Ursachen für die ökonomische Verwertung von Ausbeutung und Zwang müssen beseitigt werden, solange dies nicht geschieht finden insbesondere die kriminellen Geschäftemacher immer einen Weg, ihren Profit zu machen. Dies sollte die Geschichte der Prohibition unmissverständlich verdeutlicht haben.

Frage 4

Ich unterstütze das Anliegen und finde, wenn das Frauenplenum dies so gefordert hat sollte dem erst recht entsprochen werden. Dazu gibt es das Frauenplenum ja. Ausgewogen sollte die Debatte, wie jede, sein. Und basisdemokratisch sollten Entscheidungen eines Parteitages per se schon sein, denn dort sitzen die Delegierten der Kreisverbände, also unserer Basis.

Und ganz ohne die dazugehörige Frage: Politik in diesem Bereich sollte sich hüten, Vorschläge und Regelungen an den Betroffenen vorbei zu machen. Nur mit ihnen kann sinnvoll Kriminellen das Handwerk gelegt und ein sinnvoller Beitrag zur Emanzipation geleistet werden. Betroffene brauchen Unterstützung, sozial, psychologisch, finanziell. Im Bereich der Frauenhäuser wird massiv gekürzt, im Bereich Beratung gestrichen und ganz allgemein die Regeln für den Hilfebezug durch den Staat verschärft. Hier muss linke Politik ansetzen. Erst wenn Menschen aus Drittstaaten sich vertrauensvoll an Behörden wenden können, ohne Angst vor Abschiebung, werden Opfer sich auch in die Obhut von Behörden begeben. Erst wenn Opfer sexueller Gewalt sich nicht mehr für die Taten ihrer Peiniger rechtfertigen müssen werden Anzeigen und Verurteilungen ebenjenen das Handwerk legen. Hier liegt noch vieles im Argen. Viele Ansätze, die Erfolge versprächen sind in den vergangenen Jahren nicht verfolgt worden. Mit der Legalisierung 2002 sind eben nicht Beratungsangebote und Hilfestellungen verbessert worden. Auch die soziale Lage hat sich für derart prekär Beschäftigte seitdem massiv verschlechtert. Dies alles zu ändern scheint mir Aufgabe genug. Einen weiteren grau/scharzen Markt durch Kriminalisierung der Freier braucht dabei kein Mensch.

1) Ich halte die Position, Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere oder einfach etwas schwerere Lohnarbeit aus zwei Gründen für falsch. Erstens macht Prostitution den Körper einer Frau zur Ware und unterscheidet sich damit von «normaler» kapitalistischer Lohnarbeit. Für die überwiegende Mehrheit der Prostituierten geht ihre Arbeit mit erheblichem psychischen und körperlichen Gesundheitsgefahren einher und wird oft unter direktem oder indirektem Zwang ausgeübt. Zweitens reproduziert Prostitution ein gesellschaftliches patriarchales Bild der Verfügbarkeit der Mann über die Frau und schadet damit dem gesellschaftlichen Bild der Frau, der Frauenbewegung und letztlich auch der Arbeiter*innenbewegung insgesamt.

Ich stimme der irischen Sozialistin Laura Fitzgerald zu, wenn sie schreibt: „Es gibt einen Unterschied zwischen dem Verkauf der Arbeitskraft und dem Verkauf des eigenen Körpers. In erster Linie liegt der Grund dafür in den immanenten patriarchalen Strukturen, die Prostitution zu Grunde liegen. Den Körper einer anderen Person zu kaufen ist ein extremer Ausdruck von Machtverhältnissen, und in der Realität sieht es so aus, dass in den meisten Fällen Männer den Körper von Frauen, oder nicht so häufig, Männer den Körper von Männern bezahlen. Eine florierende Sexindustrie reflektiert Sexismus und das Patriarchat und hält diese aufrecht. Es ist nicht nur für die schädlich, die in dieser Industrie arbeiten, sondern auch für Frauen allgemein in der Gesellschaft.“(1)

Wenn Männer zu Prostituierten gehen und über deren Körper verfügen und wenn dies wie in Deutschland legalisiert wird und bereits junge Männer Werbung für Bordelle auf BVG-Bussen wie in Berlin als normal betrachten, hat das eine schädliche Wirkung auf die Möglichkeit des gemeinsamen Kampfes von Männern und Frauen gegen Sexismus und den Kapitalismus. Werden diese Männer denn Frauen als ihnen ebenbürtig und gleichwertig ansehen?

Ich stimme ebenfalls Georgs Kümmels (LINKE Mitglied in Köln) Betrachtung zur Frage der «Freiwilligkeit» in der Prostitution zu: «Wenn von Organisationen der Prostituierten der Eindruck erweckt wird, der Großteil der Prostituierten arbeite freiwillig, dann ist das, beabsichtigt oder nicht, eine wirtschaftsliberale, bürgerliche Sichtweise. Die bürgerliche Idee dahinter ist simpel: Wenn man selbst der traurigen Realität, dass junge Frauen ihre Heimatländer verlassen, um hier mit Prostitution ihr Geld zu verdienen, den ideologischen Anschein der „Freiwilligkeit“ verpassen kann, wenn sich selbst darüber niemand mehr empört, dann gibt es wenig Grund sich über die Löhne und Arbeitsverhältnisse derer zu empören, die in Deutschland für ein paar Euro in Großschlachtereien schuften und in Baracken wohnen. Und dieser Gedanke gilt in allgemeiner Form: Wenn angeblich selbst die Frauen, die die Benutzung ihres Körpers verkaufen, dass vollkommen „freiwillig“ tun, dann gehen wir ja alle freiwillig arbeiten und leben in einer freien Gesellschaft. Tun wir aber nicht, Freiheit gibt es nur für die besitzende Klasse.“ (2)

2) Ja, ich streite für eine Gesellschaft ohne Prostitution und Vermarktung/Ausbeutung von Frauen durch die Sexindustrie und Porno-Industrie. Für mich ist es kein Widerspruch, mich für die Rechte von Prostituierten einzusetzen und gleichzeitig für eine Welt ohne Sexindustrie und Prostitution zu kämpfen. Sicherlich können wir im Rahmen des Kapitalismus Verbesserungen erkämpfen (dazu unten mehr), ich glaube aber nicht daran, dass Prostitution im Kapitalismus verschwinden wird. Im Rahmen des Kapitalismus spiegeln Prostitution und Sexindustrie die patriarchalen, kapitalistischen Verhältnisse wider. Um eine Gesellschaft ohne Sexismus und Prostitution zu erreichen, müssen wir die Klassengesellschaft bekämpfen, die u.a. auf der Ausbeutung von Frauen basiert. Der Kapitalismus profitiert von Spaltungsmechanismen, von Lohndumping und Entrechtung. Der größte Förderer von Prostitution ist Armut, die Frauen dazu bringt, sich zu prostituieren (auch wenn es sicherlich immer eine Reihe von Faktoren und Gründen gibt, warum Frauen in der Sexindustrie/Prostitution arbeiten). Eine weitere Ursache für Prostitution von Migrant*innen ist ein fehlendes Bleiberecht bzw die Tatsache, dass für Profite und geostrategische Interessen ihre Länder zerbombt werden und sie fliehen müssen. Wie Clara Zetkin schon den Zusammenhang zwischen Sozialismus und Frauenbefreiung beschrieb: Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau. Erst wenn es eine Gesellschaft ohne ungleiche Besitzverhältnisse, materielle Not und Armut gibt, wird es gelingen Männer und Frauen gesellschaftlich gleichzustellen und Prostitution grundlegend zu beseitigen.

Aber wir müssen heute mit dem Kampf für die Verbesserung der Lage der Frauen im allgemeinen und in der Prostitution beginnen. Dabei geht es darum Prostitution zurück zu drängen, indem wir gegen die gesellschaftlichen Ursachen kämpfen und nicht gegen Prostituierten. Ich halte u.a. folgende Forderungen für wichtig:

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Niedriglöhne und unsichere Beschäftigung bekämpfen. Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde. Abschaffung von Hartz IV und Umwandlung von Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige tariflich entlohnte Arbeitsplätze

Ausbau der Gesundheitsversorgung und der Präventionsangebote für alle mit dem Ziel einer kostenlosen Gesundheitsversorgung

Mindestsicherung für alle in Höhe von 1050 Euro – ohne Bedürftigkeitsprüfung, Schikanen und Durchleuchtung, auch für Prostituierte, die aus der Prostitution aussteigen wollen

Bleiberecht für alle und Ausweitung des Asylrechts. Keine Abschiebung von Migrantinnen, auch nicht solchen, die in der Prostitution arbeiten, und eine Möglichkeit für sie, legal eine andere Tätigkeit aufzunehmen.

Kriminalisierung und Diskriminierung von Prostituierten stoppen, stattdessen: Vorgehen gegen Schlepper, Schleuser und Zuhälter, die Menschen, insbesondere Migrantinnen, zur Prostitution zwingen; Schluss mit dem inhumanen Grenzregime der Festung Europa

Kampagnen durch Gewerkschaften, Frauenbewegung und linken Parteien und Gruppen gegen Zuhälter und Vermieter, die an der Prostitution anderer verdienen;

für gewerkschaftliche Aufklärungskampagnen über Prostitution und die Rolle von Freiern in Betrieben und antisexistische Aufklärungskampagnen in Schulen, Universitäten und Betrieben

Verbesserung der Bedingungen auf dem Straßenstrich (Aufstellen von Bänken und Unterständen, gute Beleuchtung der Straßen, Notrufsäulen, kostenlose Kondome),

für die finanzielle Unterstützung von Selbsthilfegruppen von Prostituierten, Räume als Anlaufpunkte für Prostituierte ausbauen, Ausbildung und Einstellung von Streetworker*innen

Ausstieg aus der Prostitution erleichtern, für gut finanzierte Aussteigerprojekte, öffentliches Investitionsprogramm zur Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, sowie Umschulungsmaßnahmen, die ohne Schnüffelei in der Vergangenheit der Leute angetreten werden können

3) Wie oben bereits beschrieben, halte ich eine Entkriminalisierung von Prostituierten auf allen Ebenen europaweit, Ausstiegsprogramme, soziale Absicherung und antisexistische Erziehung für zentral. Ich finde es auch wichtig, eine gesellschaftliche Diskussion über die Rolle von Prostitution und Freiertum zu befördern. Dabei erscheint mir wichtig, diese Diskussion nicht moralisch zu führen, sondern im Zusammenhang mit einer Kampagne darüber aufzuklären, dass ein von Prostitution und Verfügbarkeit von Frauen geprägtes Frauenbild der Frauenbewegung aber auch der Arbeiter*innenbewegung insgesamt schadet.

Schwieriger ist für mich zu bewerten, wie weitgehend die Auswirkungen des Sexkaufsverbots in Schweden und Norwegen sind und ob es einfach auf andere Länder zu übertragen ist. Ich habe mit Interesse verschiedene Berichte gelesen, denen zu Folge das schwedische Modell eine nachweisbare Senkung der Nachfrage zur Folge, zu einer erhöhten Ablehnung von Prostitution in der Gesellschaft und einer Abnahme von Menschenhandel geführt habe(3) (4). Das ist positiv. Ob sich Prostitution in andere Länder oder in den „Untergrund“ verlagert hat, kann ich nicht genau bewerten – hier gibt es widersprüchliche Aussagen. Katharina Sass geht davon aus, dass dies in Bezug auf Schweden nicht stattgefunden habe. In dem Zusammenhang ist wichtig zu bilanzieren, dass die Legalisierung von Prostitution in Deutschland seit 2002 zu einer massiven Ausweitung von Prostitution geführt hat und sich für viele in der Prostitution Tätigen nichts verbessert hat. Letzteres hat nicht nur etwas mit dem Gesetz, sondern mit dem Anstieg der Armut in Ost- und Südeuropa zu tun. Auch der Menschenhandel hat zugenommen und Deutschland wird nicht zu Unrecht als als Bordell Europas bezeichnet. Auch eines der angeblichen Vorzeigebordelle wie das Artemis in Berlin ließ vor kurzem die Maske fallen und es wurden menschenfeindliche Praktiken bekannt.

Insgesamt scheint mir zentral wahrzunehmen, dass das schwedische Gesetz (und auch jenes in Norwegen) vor dem Hintergrund von Kämpfen und Bewegungen in den 70ern und 80ern zustande kam und nicht ohne Druck von der Regierung zugestanden wurde. Dieser Kampf hatte auch deutliche soziale Forderungen. Eine Voraussetzung für die Umsetzung der Ausstiegsprogramme für Prostituierte und der sexuellen Aufklärung an Schulen war in Schweden der Ausbau des öffentlichen Sektors, der in den 60er und 70er Jahren erfolgte und die Ideologie der freien Marktwirtschaft zum Teil zurückdrängen konnte. Die Privatisierungswelle der letzten Jahrzehnte in Schweden und vor allem die extreme Privatisierung und Deregulierung des Schulsektors hatte auch in diesem Bereich große negative Folgen. Das stellt bisherige Errungenschaften in Frage.

Ich denke das ist das Wichtigste, was wir aus anderen Ländern lernen können: Wenn wir Ausbeutung und Prostitution bekämpfen wollen, müssen wir starke Bewegungen aufbauen, die sozialen Ursachen von Prostitution und zugleich auch sexualisierte Gewalt und Sexismus in den Medien/an Schulen/am Arbeitsplatz thematisieren. Inwiefern die Forderung nach einem Sexkaufverbot auch in anderen Ländern hilfreich sein kann (ohne dabei auf den bürgerlichen Staat zu vertrauen oder den Eindruck zu erwecken, ein solches Gesetz könne Prostitution insgesamt abschaffen) hängt von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Die Durchsetzung eines Sexkaufverbots in einem Land kann vor dem Hintergrund einer Bewegung, die soziale Ursachen thematisiert und soziale Errungenschaften durchsetzt eine positive Wirkung haben, während es in einem anderen Land, wenn die sexistische Mainstreampropaganda beibehalten wird und es durch Sozialabbau zu einer Verlagerung von Altenpflege und Kindererziehung in die Familie und damit in die individuelle Verantwortung der Frau kommt, wieder anders aussehen kann. Vor allem geht es darum, bei einem solchen Gesetz nicht stehen zu bleiben, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Ursachen zu bekämpfen, die Frauen in die Prostitution drängen. All das würde ich gern weiter diskutieren.

4) Ja, ich halte es für sinnvoll, solche Diskussionen unter Einbeziehung sowie von Betroffenen und AussteigerInnen zu diskutieren als auch durch VertreterInnen von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, die einen gesamtgesellschaftlichen Blick auf die Thematik werfen. Aus meiner Sicht machen manche Linke heute den Fehler – aus der richtigen Ablehnung der heuchlerischen puritanischen Haltung mancher CDU-Politiker*innen – in eine Pro-Prostitutionsposition zu verfallen. In diesem Zusammenhang halte ich die Tatsache, dass auch Abgeordnete der LINKEN den „Appell für Prostitution“ unterzeichnet haben, für einen Fehler. Sie individualisieren die Sichtweise auf Prostitution, indem sie das Thema aus Sicht des Teils der Prostituierten betrachten, die ihre Arbeit „freiwillig“ verrichten bzw es so empfinden. Ich möchte diesen Frauen ihre Sichtweise nicht absprechen. Aber sie sprechen nicht für die Mehrheit der Prostituierten und eine individuelle Sichtweise reflektiert selten die Wirkung von Prostitution auf alle Frauen. Deshalb ist es richtig, diese Diskussion nicht nur mit Betroffenen zu führen.

  1. Laura Fitzgerald: Sexindustrie und Prostitution, https://www.sozialismus.info/2014/01/sexindustrie-und-prostitution/
  2. Georg Kümmel: Diskussionsbeitrag: Die Linke und Prostitution, https://www.sozialismus.info/2013/12/diskussionsbeitrag-die-linke-und-die-prostitution/
  3. Katharina Sass: Bestraft die Freier
  4. Sweden’s Prostitution Solution: Why Hasn’t Anyone Tried This Before?, http://esnoticia.co/noticia-8790-swedens-prostitution-solution-why-hasnt-anyone-tried-this-before

1) Es kann ein Beruf sein und es kann eine Form sexueller Gewalt sein. Wenn sich Menschen selbstbestimmt dazu entscheiden sich und ihren Körper als Prostituierte*r, Domina, Pornodarsteller*in, etc. als Dienstleistung zur Verfügung zu stellen, so ist dies in meinen Augen als Sexarbeit zu bezeichnen und dann als Beruf ebenso anzuerkennen, vor allem auch arbeitsrechtlich, um Schutzmaßnahmen und Rechtsansprüche mit Blick auf Sozial- und Krankenversicherung, Beratungsleistungen, etc. gleichberechtigt wie andere Arbeitnehmer*innen in Anspruch nehmen zu können. Wenn Menschen allerdings unter Zwang und unter Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung in die Prostitution geraten und dort ausgebeutet werden, durch Freier gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen werden und damit sexuelle Gewalt erfahren, dann ist Prostitution ohne Zweifel eine Form sexueller Gewalt und zu verhindern. Es gibt in dieser Frage also kein entweder oder. Ob es (Sex-)Arbeit ist oder eine Form sexueller Gewalt, muss bei der Bewertung davon abhängig gemacht werden, ob die sexuelle Selbstbestimmung der Person gewahrt ist oder ob Menschen gegen deren Willen ausgebeutet werden. Ein pauschales Urteil kann hier meiner Meinung nach nicht gefällt werden.

2) Ein erstrebenswertes Ziel ist für mich eine Gesellschaft, in der jedes Individuum das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung besitzt und dieses Grundrecht als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung gewährleistet ist oder bei einem Eingriff durch Dritte eine konsequente Strafverfolgung mit einem tatsächlichen Opferschutz stattfindet. Wenn dies für Sexarbeiter*innen, die dieser Tätigkeit freiwillig nachgehen, tatsächlich gewährleistet wird, dann sehe ich keinen Grund, warum ihnen diese Erwerbstätigkeit untersagt werden soll. Dass dies bisher nicht gewährleistet ist, zeigt die aktuelle Reform des Sexualstrafrechts, mit der ein ‚Nein‘ leider immer noch kein ‚Nein‘ ist. Auch die Debatte über die Reform des Prostitutionsgesetzes zeigt, dass auf Bundesebene nicht die Bestrebungen existieren einen wirklichen Schutz von Prostituierten zu gewährleisten. Stattdessen wird der Kontrollzwang zu Lasten der Sexarbeiter*innen verstärkt und Sexarbeiter*innen, die Opfer sexueller Gewalt werden, werden mit der geplanten Änderung weiterhin nicht wirklich geschützt. Die Anmeldepflicht erschwert es womöglich Sexarbeiter*innen ihr Gewerbe auszuführen, kann zur Verdrängung in die Illegalität führen und es stellt sich die Frage, wie die einzuführende Kondompflicht kontrolliert werden soll. Auch scheint ein konsequenter Opferschutz bei Anzeigen gegen Freier*innen nicht vorgesehen zu sein. Eine Gesellschaft ohne sexuelle Gewalt und mit dem gelebten Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung ist daher für ein erstrebenswertes Ziel, was die Abschaffung der Zwangsprostitution beinhaltet.

3) Das nordische Modell sehe ich, nach einer kurzen Einarbeitung und Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen zum Thema mit dem Bezug zu meiner Antwort auf Frage 2 kritisch. Es ist zu hinterfragen, ob das „Sexkaufverbot“ für (selbstständige) Sexarbeiter*innen, die selbstbestimmt dieser Form der Erwerbsarbeit nachgehen, von dem Gesetz geschützt  oder benachteiligt werden. Mögliche negative Folgen eines solchen Prostitutionsverbotes zu Lasten der Sexarbeiter*innen sollten in meinen Augen beachtet und analysiert werden, um eine umfassende Bewertung vornehmen zu können. Auch die Datenlage, mit der für das nordische Modell argumentiert wird, bedarf einer genaueren Analyse wie diese Zahlen zu Stande kommen, denn wie soll eine Abnahme der Prostitution durch die getroffenen Maßnahmen valide nachgewiesen werden, wenn keines der Länder mit diesem Modell eine verlässliche Methode zur Zählung nachweisen kann. Gerade wenn bspw. migrantische Prostituierte aus Angst vor Abschiebungen in die Illegalität gezwungen werden, stellt sich mir die Frage, ob die genannten Zahlen und Daten diese Personen und damit die Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen tatsächlich erfassen können und so ein tatsächlicher Rückgang der Prostitution nachgewiesen werden kann. Auch müssen Berichte von Sexarbeiter*innen in Ländern mit diesem Modell  genauso ernst genommen werden, die davon berichten, dass sie Vergewaltigungen nicht anzeigen konnten, da die Täter*innen anonym bleiben wollten, um einer Strafverfolgung auf Grund des Verstoßes gegen das Sexkaufverbot zu umgehen. Zudem halte ich ein Modell, in dem nur Aussteiger*innen staatliche Unterstützungsprogramme in Anspruch nehmen können für exklusiv und damit nicht zielführend. Im Sinne des Anspruches von sozialer Arbeit Schäden zu begrenzen, sollte allen Sexarbeiter*innen/Prostituierten die Möglichkeit offen stehen Beratungs- und Unterstützungsprogramme nutzen zu können. Zudem erachte ich es als ziemlich problematisch, dass das nordische Modell Geschlechterstereotype und Vorurteile reproduziert. Zum einen marginalisiert der binäre Blick auf männliche „Sexkäufer“ und Frauen* als Prostituierte, dass es auch (wenn auch vergleichsweise weniger) Männer* gibt, die ihren Körper freiwillig oder aus ökonomischen Zwängen verkaufen. Und vor allem werden mögliche gesonderte Formen der sexuellen Gewalt gegen LGBTTIQ-Personen in der Prostitution außer Acht gelassen und ein kritisch zu betrachtendes heteronormatives Weltbild reproduziert. Zudem ist es kritisch zu betrachten, dass bspw. in Schweden oder Norwegen Sexarbeiter*innen, trotz des „Sexkaufvebotes“ Steuern auf ihre durch Sexarbeit erworbenen Einkünfte zahlen müssen. Dies erhöht vor allem auf „Armutsprostituierte“ den ökonomischen Druck und die Gefahr als Opfer sexueller Gewalt aus Angst vor Repressionen, von einer Strafverfolgung der Täter*innen abzusehen. Von einem Gesetz, dass die Opfer sexueller Gewalt schützt und die sexuelle Selbstbestimmung eines jeden Individuums ermöglicht, erwarte ich andere Instrumente.

Anmerkung des Netzwerkes LINKE gegen Prostitution zur Antwort Christian Schafts auf Frage 3: In dieser Antwort sind einige Falschbehauptungen enthalten, die sich durch nichts belegen lassen. So ist es Unsinn, dass im nordischen Modell nur AussteigerInnen Hilfsangebote erhalten. Selbstverständlich sind die Hilfsangebote für alle Prostituierten offen, unabhängig davon, ob sie aussteigen wollen. Es stimmt auch nicht, dass Prostituierte im nordischen Modell grundsätzlich Steuern zahlen. Dies kommt in Einzelfällen vor, ist aber nicht Standard. Wir lehnen dies ab, jedoch sind Steuerzahlautomaten auf dem Strassenstrich ein deutsches Phänomen, kein skandinavisches. Gleiches gilt für die angeblich mangelnde Transparenz: Die nordischen Zahlen basieren auf umfangreichen Berichten der Beratungsstellen und der Polizei und sind somit sicherer als alle für den deutschen Markt kursierenden Zahlen. Dass die Prostitution zurück gegangen ist, wird auch von Gegnern des Gesetzes anerkannt. Schlussendlich: Im nordischen Modell gelten die Gesetze selbstverständlich für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung. Sexkauf durch Frauen ist ebenfalls strafbar, auch wenn er sehr selten stattfindet, und auch männliche Prostituierte werden nicht kriminalisiert.

4) Ja, ich unterstütze die Forderung nach einer ausgewogenen Debatte zu diesem Thema und einer basisdemokratischen Findung einer Position dazu in unserer Partei. Neben den genannten Gruppen sollten für eine ausgewogene Debatte aber auch Sexarbeiter*innen und deren gewerkschaftlichen Vertretungen oder Interessenvertretungen in Form von Vereinen wie bspw. Hydra e.V.  in diese Debatte eingebunden werden. Auch eine ausgewogene wissenschaftliche Begleitung der Thematik ist in meinen Augen notwendig.

1) Für mich ist Prostitution kein Beruf wie jeder andere. Sich in dieser Art zu verkaufen birgt ganz schnell die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden oder Gewalt auszuüben, um Geld damit zu verdienen. Ich möchte, dass Menschen frei entscheiden können, welcher Tätigkeit sie nachgehen und dass alle Arbeiten so bezahlt werden, dass die Menschen davon leben können. Deshalb bin ich auch nach wie vor gegen Hartz IV und bekämpfe die Sanktionen, die von Jobcentern bei „Verstößen“ verhängt werde,  aufs Schärfste.

2) Ja. Ich möchte eine Gesellschaft der Freien und Gleichen. Niemand soll sich prostituieren müssen, weder geistig noch körperlich.

3) Ich bin unbedingt dafür die Prostituierten zu entkriminalisieren. Und Prostituierten muss die Möglichkeit gegeben werden, sich in der Sozialversicherung abzusichern. Menschenhandel und Zwangsprostitution und die Akteure, die so etwas machen, müssen dagegen verfolgt werden. Ich glaube nicht, dass die generelle Kriminalisierung der Freier die Lösung ist. Ich glaube, der richtige Weg ist, die Zwänge zu bekämpfen, die zu Prostitution führen.

4) Eine Debatte ist unbedingt nötig, auch in unserer Partei. Das Thema ist nicht einfach, es gibt viele Aspekte zu berücksichtigen, daher empfiehlt es sich mit vielen Betroffenen und gesellschaftlichen Gruppen zu diskutieren, die Gleichberechtigung und  Menschlichkeit auf der Agenda haben.

1) Ich halte Prostitution nicht für einen Beruf wie jeden anderen. Ich bin allerdings der Meinung, dass Prostitution rechtlich als Gewerbe behandelt werden sollte, dass die Rechte und der Schutz von Prostituierten gestärkt werden sollten, dass Kriminalisierung und Diskriminierung von Prostituierten kontraproduktiv sind. Die Legalisierung und die Abschaffung der Sittenwidrigkeit halte ich für den richtigen Weg.

Obwohl sexuelle Gewalt und die Ausnutzung von Abhängigkeiten in der Prostitution weit verbreitet sind, halte ich es für falsch, Prostitution pauschal und in jedem Fall als „Form sexueller Gewalt“ zu definieren. Damit würden Prostituierte generell als Opfer eingestuft. Die Unterstützung der Selbstvertretungs- und Selbsthilfeorganisationen von Prostituierten ist auf einer solchen Grundlage kaum möglich. Die Bezeichnung als Sexarbeit dient dazu, eine solche Unterstützung und Zusammenarbeit auf der Basis von Respekt möglich zu machen.

2) Für ein erstrebenswertes Ziel halte ich eine Gesellschaft, in der niemand gezwungen ist, seine Person, seine Arbeit oder seinen Körper zu verkaufen, um leben zu können, und in der die Ungleichverteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen minimiert ist. Das ist ein weiter Weg. Ob Menschen in einer solchen Gesellschaft auch mit Sex handeln oder nicht, ist ihre Sache.

3) Negativ. Ich halte die alternative Strategie, nämlich die Legalisierung, Entkriminalisierung, Entdiskriminierung von Prostitution (wie sie in Ländern wie Neuseeland oder eben auch Deutschland verfolgt wird), für den besseren Weg. Das Sexkaufverbot kriminalisiert Prostitution und verdrängt sie dadurch einen illegalisierten Bereich, in dem Schutz und Rechte von Prostituierten geschwächt sind. Die Diskriminierung von Prostituierten wird dadurch insgesamt verstärkt.

Wie euch bekannt sein dürfte, sind die Auswirkungen z.B. in Schweden extrem umstritten. Auch Amnesty International hat sich gegen das Nordische Modell positioniert, weil es im Sinne der „harm reduction“ nicht positiv für die Betroffenen ist.

4) Nein. Die Debatte in der Partei ist frei und wird auch geführt. Nach meinem Eindruck sind die Mehrheitsverhältnisse dabei relativ klar zugunsten der Positionsbestimmung der Bundesfraktion vom 14.10.2014, aber es wird niemand gehindert, sich kritisch dazu zu äußern. Ich sehe keinen Grund, ausgerechnet beim Thema Prostitution vorzuschreiben, dass beide Positionen mit gleichem Gewicht zu Wort kommen müssen. Ebenso steht es allen Mitgliedern frei, auf den üblichen Wegen einen Mitgliederentscheid anzustreben. Unterstützen würde ich das nicht, weil mir nicht einleuchtet, warum die Positionierung zur Prostitution einer besonderen, zusätzlichen basisdemokratischen Legitimation bedarf. Der normale Weg wäre auch erst einmal, wenn man mit der Positionierung der Bundespartei unzufrieden ist, auf den üblichen Wegen Gremienbeschlüsse anzustreben, z.B. Parteitagsbeschlüsse.

Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass diejenigen, die in der Partei für das Verbot der Prostitution eintreten, oft nicht unbedingt durch besondere Ausgewogenheit und Respekt vor anderen Positionen auffallen. Zur Wahrheit gehört z.B. auch, dass es Frauen- und Menschenrechtsorganisationen gibt, die nicht eure Position teilen. Wenn ihr in eurem Aufruf Prostituiertenorganisationen der „Prostitutionslobby“ zugeschlagen werden, spricht das nicht für die Bereitschaft, Positionen von Betroffenen zu akzeptieren, die für ihre Rechte eintreten. Wenn GenossInnen Kampagnen gegen Bordelle in der Nachbarschaft unterstützen, finde ich das schwer erträglich.

Ich halte es in der Tat für wichtig, dass wir diese Debatte führen – schon allein deshalb, weil sehr viele Aspekte dessen, wie wir Sexualität, Beziehungen, Geschlechterverhältnisse sehen, dabei mitverhandelt werden. Dafür müssen es aber beide Seiten schaffen, einen respektvollen Rahmen miteinander aufzumachen und auszuhalten.

1) Ich finde die Gegenüberstellung „Beruf wie jeder andere“ vs. „Form sexueller Gewalt“ für mich nicht hilfreich, allen Sexarbeiter*innen gerecht zu werden. Deswegen kann ich auch keine Stellung zu einem dieser beiden Extreme beziehen.

2) Das ist für mich gar keine Frage. Natürlich halte ich eine Gesellschaft für erstrebenswert, in denen Menschen frei und selbstbestimmt ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben können, ohne dafür Sexarbeiter*innen in Anspruch nehmen zu müssen.

3) Ich halte das Nordische Modell nicht für hilfreich. Im Gegenteil. Es verschärft aus meiner Sicht die Ausbeutung der Betroffenen und führt eher zu mehr Repression. Zudem ist die Wirkung des Modells höchst umstritten. Ich verweise hier beispielhaft auf diesen Beitrag:

Prostitution und Menschenhandel (1): Die „Wahrheit“ über das „Nordische“ und „Schwedische“ Modell

4) Ich bin immer für Debatten, in der alle Positionen ihren Raum haben und bei der auch alle Positionen zu Wort kommen und Themen in ihrer Breite und Differenziertheit behandelt werden. Das gilt auch für die Debatte um das Sexkaufverbot. Unsicher bin ich (und das gilt nicht nur für dieses Thema), ob es immer zielführend ist, zu meinen, dass eine Entscheidung dann auch wirklich entscheiden würde. Natürlich muss die Partei (etwa im Wahlprogramm) oder die Fraktion (in der praktischen Arbeit im Parlament) Stellung beziehen durch Beschlüsse der entsprechenden Gremien. Wie bei anderen Themen heißt das aber zum Glück nicht, dass mensch nicht trotzdem eine andere Position beziehen und vertreten darf. Das finde ich auch gar nicht tragisch, weil es dem pluralistischen Charakter unserer Partei gerecht wird.

Gerne beantworte ich Eure Fragen zum Thema Prostitution.

1) Nein, Prostitution ist aus meiner Sicht kein „Beruf wie jeder andere“. Man kann nicht die Augen davor verschließen, dass viele Frauen zur Prostitution gezwungen und Opfer von Gewalt durch Zuhälter und Freier werden. Das führt zu körperlichen und seelischen Verletzungen und Traumatisierungen. Zudem werden Prostituierte stigmatisiert und gesellschaftlich ausgegrenzt.

2) Ich denke, dass Prostitution in einer klassenlosen Gesellschaft ohne ökonomische Ausbeutung und politische Unterdrückung keinen Platz mehr haben wird.

3) Ich halte ein Sexkaufverbot und damit eine faktische Kriminalisierung von Prostitution für den falschen Weg. Das würde meiner Meinung nach nicht zu weniger Prostitution sondern zu einer Verlagerung in den Untergrund führen.

Zudem stellt sich die Frage, wie ein solches Verbot umgesetzt – also kontrolliert – werden sollte, sonst wird es ohnehin umgangen werden und ins Leere laufen. Das halte ich für ein zentrales Problem bei dieser Forderung. Es gibt vielfältige Möglichkeiten sexuelle Dienstleistungen anzubieten und es wird in der Praxis schwierig sein, beispielsweise jeden Massagesalon zu kontrollieren, ob dort sexuelle Dienstleistungen angeboten werden. Oder wie soll man in Privatwohnungen oder Hotelzimmern kontrollieren, ob dort sexuelle Dienstleistungen angeboten werden? Bzw. wie will man nachweisen, dass Geld dafür bezahlt wurde? Prostitution würde sich doch vor allem in Privatwohnungen verlagern, wenn sie offiziell verboten wäre.

Um ein Sexkaufverbot auch nur ansatzweise kontrollieren zu können, bräuchte es eine Aufstockung bei der Polizei, mehr Razzien, mehr Wohnungsdurchsuchungen und eine schärfere Überwachung des Internets. Man wäre auch auf Hinweise von Nachbarn angewiesen, Frauen, die aus welchen Gründen auch immer, häufig Besuch von Männern bekommen, könnten so dem „Verdacht“ der Prostitution ausgesetzt werden. All dies kann nicht im Sinne der LINKEN sein. Und selbst die schärfsten Kontrollen würden Prostitution nicht vollständig unterbinden können. Daher halte ich das Verbot nicht für den richtigen Weg.

Finanziell gut ausgestattete Unterstützungsangebote sind notwendig, insbesondere eine gute gesundheitliche und soziale Versorgung von Sexarbeiterinnen. Sexarbeiterinnen dürfen nicht entmündigt werden, sie müssen ernst genommen werden und mitbestimmen dürfen, wenn es beispielsweise um das Prostitutionsgesetz geht.

Vor allem aber müssen die Ursachen, wegen denen Frauen gezwungen sind sich zu prostituieren, bekämpft werden. Das Hauptproblem ist Armut. Viele betroffene Frauen haben kaum berufliche Perspektiven. Zudem muss das Aufenthaltsrecht so verändert werden, dass es die Rechte von ausländischen Prostituierten stärkt, so dass sie nicht mehr erpressbar sind.

4) Ich finde, dass wir eine ausgewogene Debatte in der LINKEN brauchen, um eine Position zu finden. Das ist nötig, weil es eine gesellschaftliche Debatte dazu gibt und das entsprechende Gesetz novelliert wird. Ich finde es wichtig, die Debatte nicht auf die beiden Positionen „Sexarbeit ist Arbeit wie jede andere“ und „Pro Nordisches Modell“ zu beschränken. Ich jedenfalls könnte keine dieser beiden Positionen uneingeschränkt unterstützen. Es geht ja nicht die Frage, ob man „für“ oder „gegen“ Prostitution ist, sondern welcher gesellschaftliche Umgang damit der richtige ist. In einer breiten Debatte sollten alle Positionen, die es in der LINKEN gibt, zu Wort kommen.

Besten Dank für Eure Fragen zu meiner Position in der Debatte über das Prostitutionsgesetz. Selbstverständlich halte ich eine Gesellschaft ohne Prostitution für ein erstrebenswertes Ziel, dies wird jedoch nur durch eine Überwindung der gesellschaftlichen Ursachen der Prostitution, kapitalistisch-patriarchalischer Strukturen erreichbar sein. Ich halte Prostitution auch nicht für einen Beruf wie jeden anderen, sie basiert auf einem Frauenbild, wonach der weibliche Körper jederzeit gegen Geld zur Verfügung steht. Prostitution ist jedoch eine gesellschaftliche Realität, deshalb muss es darum gehen, die Rechte der Prostituierten, ihre Arbeitsbedingungen, ihre soziale Absicherung zu verbessern. Das gegenwärtige Prostitutionsgesetz leistet dies nur ungenügend. Beratungs- und Selbsthilfegruppen und Ausstiegsprogramme müssen besser unterstützt werden. Die Novelle des Gesetzes mit der Einführung einer Registrierungspflicht von Prostituierten löst kein einziges Problem, sondern, sondern wirkt eher stigmatisierend.Dringend geändert müssen die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen für die Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel. Gegenwärtig droht diesen nach einer Aussage vor Gericht die Abschiebung in ihr Herkunftsland in dem sie oftmals ungeschützt sind. Aus Furcht vor Abschiebung trauen sich daher viele Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution nicht sich an die Polizei zu wenden und vor Gericht auszusagen. Das deutsche Aufenthaltsrecht stärkt damit die Position der Menschenhändler. Ich habe mich deshalb als auch für das Frauenressort zuständiger Senator in der Berliner Landesregierung immer für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution eingesetzt. Bezüglich des schwedischen Modells bin ich nach wie vor skeptisch: ich teile die Bedenken, dass durch eine Kriminalisierung der Freier Prostitution wieder stärker in eine Dunkelzone abgedrängt wird und sich damit Bedingungen für Prostituierte wieder verschlechtern. Mit Interesse habe ich den Artikel von Katharina Sass in den „Beiträgen…“ gelesen, wonach „eine Verschiebung von Straßenprostitution zu anderen Formen der Prostitution oder ein Verschwinden der Prostitution im Untergrund (…) im Gegensatz zu in Deutschland häufig aufgestellten Behauptungen, nicht stattgefunden“ habe. Leider ist mir eine nähere Auseinandersetzung mit den auf eurer Website verlinkten Evaluationsberichten aus Schweden und Norwegen nicht möglich, da ich keiner dieser beiden Sprachen mächtig bin. Was ich aber auf jeden Fall teile, ist die Notwendigkeit die „Nachfrageseite“ stärker in den Blick zu nehmen, z.B. durch eine breite gesellschaftliche Diskussion und Aufklärung und Beratungsangebote.

1) Nein, es ist kein Beruf wie jeder andere, es ist eine Form von höchster Ausbeutung, wenn Menschen- übrigens egal welchen Geschlechts – gezwungen sind, ihren Körper zu verkaufen. Ich weiß, dass es eine Unzahl von Reportagen und Berichten gibt, wo Frauen dies für sich persönlich ablehnen und dokumentieren dass sie viel Freude an ihrem Beruf haben, das muss ich akzeptieren und dennoch muss ich es nicht gut finden. Darüber hinaus wird auch die Doppelmoral der Gesellschaft deutlich. Toll finde ich diejenigen, die Stück für Stück für sich und andere Rechte und Respekt erstreiten.

2) Ein erstrebenswertes Ziel und eine reale Möglichkeit.

3) Auch hier kann ich nur Zustimmung äußern, es wäre ein Weg hin zur prostitutionsfreien Gesellschaft.

4) Selbstverständlich. Dazu benötigen ihr/ wir zahlreiche Bündnispartnerinnen und Bündnispartner, eine breite öffentliche Diskussion und auch eine intensive parlamentarische Begleitung.