Zwölf Mythen über Prostitution und Sexkaufverbot

Von Ingrid Aigner (Lisa-Sprecherin RLP), Hamide Akbayir (Kreisvorstandsmitglied und Ratsmitglied Köln), Sylvia Gabelmann (Lisa NRW, KV Siegen), Susanne Herhaus (Kreissprecherin Wuppertal), Peter Heumann (Kreissprecher Köln), Hannelore Hildebrandt (Kreisvorstandsmitglied Köln), Waltraud Hingst (Fraktionsvorsitzende Mainz), Linke Frauen Kassel, Angelika Link-Wilden (Kreissprecherin Köln), Paul Oehlke, Fiete Sass, Katharina Sass (alle KV Köln), Manuela Schon (Stadtverordnete Wiesbaden), Sarah Schwarzrock (Schatzmeisterin LSPR Linksjugend RLP), Martina Siehoff (Lisa-Sprecherin NRW), Chris Zeeh (KV Kassel Land)

Der Aufruf „LINKE für eine Welt ohne Prostitution“ hat eine gemeinsame Gegenrede von Matthias W. Birkwald, Anna Conrads, Ulla Jelpke, Marc Mulia, Jasper Prigge, Sascha H. Wagner, Kathrin Vogler und Hubertus Zdebel auf den Plan gerufen. Der Beitrag ist dankenswert, weil er hilft, die Auseinandersetzung in der LINKEN zu präzisieren. Wir wollen darauf antworten, indem wir die Diskussion auf bestimmte kritische Aussagen fokussieren. Wir haben in dem Text fünf Mythen über Prostitution und sieben Mythen über das Sexkaufverbot identifiziert und an Zitaten festgemacht. Viele der von den GenossInnen vorgetragenen Ansichten hat bereits die European Womenʼs Lobby (EWL) mit ihrem Material „18 Mythen über Prostitution“ widerlegt, aus dem wir deshalb gerne ausgiebig zitieren. Die EWL ist eine Dachorganisation von über 2000 feministischen Organisationen in dreißig europäischen Ländern, hat ihr Sekretariat in Brüssel und arbeitet seit 1990 für Gleichstellung und Frauenrechte in Europa.

Der Aufruf „LINKE für ein Welt ohne Prostitution“ zielt vor allem darauf, zu klären, dass die Institution der Prostitution aus Sicht der LINKEN ein gesellschaftliches Problem darstellt, dass es zu überwinden gilt, wie andere soziale Probleme auch. Eine LINKE, die Prostitution noch nicht einmal langfristig überwinden will, hat nach unserer Ansicht eine wichtige Aufgabe nicht verstanden und untergräbt ihre eigene Glaubwürdigkeit auch in Bezug auf andere soziale und feministische Ziele.

Fünf Mythen über Prostitution

1. „Eine Welt ohne Prostitution kann es nicht geben.“

Zitat: „Eine Welt ohne Prostitution kann es bei realistischer Betrachtung nicht geben. Erkennt man dieses Faktum an kann es nicht darum gehen, „eine Welt ohne Prostitution“ zu schaffen. Die Verbesserung der bestehenden Situation von Sexarbeiter*innen muss im Vordergrund der politischen Auseinandersetzungen stehen.“

Viele glauben, dass das Jahrtausende alte Übel der Prostitution unausrottbar sei. Das hat man auch lange Zeit von der Sklaverei gedacht – bis sie, durch lange politische und soziale Kämpfe, dann doch überwunden wurde. Aber ausgerechnet von Sozialistinnen und Sozialisten kommt so viel Bescheidenheit doch überraschend. In der Präambel zum Programm der LINKEN heißt es: „DIE LINKE als sozialistische Partei steht für Alternativen, für eine bessere Zukunft. (…) Wir halten an dem Menschheitstraum fest, dass eine bessere Welt möglich ist. (…) Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch
gestalten können.“ Die Institution der Prostitution ist mit einem so verstandenen demokratischen Sozialismus per Definition unvereinbar. „Prostitution abzuschaffen bedeutet nicht sie auszulöschen. Vergewaltigung, Mord und Pädokriminalität sind verboten, aber existieren weiterhin. Wichtig ist die soziale Norm, die durch die Gesetzgebung vermittelt wird: sie verankert in den Menschenrechten, dass der menschliche Körper und Sexualität nicht zu kaufen sind. Dies erschafft eine Bedingung, unter der eine tatsächliche Gesellschaft der Gleichheit umgesetzt werden kann.“ (EWL)

Das Beispiel Schwedens und Norwegens zeigt, dass schon heute eine weitgehende Überwindung der Prostitution möglich ist. Relativ zur Bevölkerungsgröße gibt es in Norwegen nur etwa ein Zehntel der deutschen Prostitution. Und in Schweden ist der Anteil noch geringer. Dies ist nicht nur eine Folge des Sexkaufverbots. Der Sozialstaat ist in beiden Ländern sehr leistungsfähig, die Frauenerwerbsquote ist hoch und die Stellung der Frauen wie auch der Homosexuellen in der Gesellschaft gilt weltweit als führend. SchwedInnen und NorwegerInnen müssen sich in der Regel schlicht nicht prostituieren, weil es gute und menschenwürdige Alternativen gibt. Schweden und Norwegen, zwei Länder, die Deutschland in Sprache, Kultur und Wirtschaftsweise eng verwandt sind, haben praktisch bewiesen, dass durch die Kombination von Sozialstaat, Bildung für alle, weitgehender Geschlechtergleichstellung und Sexkaufverbot die Prostitution im Vergleich zu Deutschland um 90 Prozent reduziert werden kann. Das ist natürlich noch nicht die Überwindung derProstitution – aber von 90 Prozent davon!

2. „Prostitution deckt das menschliche Grundbedürfnis nach Sexualität.“

Zitat: „Es ist eine Dienstleistung, die das menschliche Grundbedürfnis nach Sexualität abdeckt.“

Grundbedürfnisse sind Luft zum Atmen, Nahrung, ein Dach über dem Kopf. Sie stehen im sozialen Rechtsstaat allen zu. Doch ein „Recht auf SexpartnerInnen“ kann es nicht geben, denn das wäre immer ein Recht zulasten anderer.

Darüber hinaus wird hier ignoriert, dass Sexkauf eine Form praktisch ausschließlich männlicher Triebabfuhr ist, die die Prostituierten egal welchen Geschlechts in einer untergeordneten Rolle benutzt. Frauen kaufen sehr, sehr selten Sex. Dies wird gerne damit begründet, dass Frauen eben geringer ausgeprägte sexuelle Bedürfnisse hätten – ein patriarchales Erklärungsmodell, das vollkommen übersieht, dass Sexualität immer gesellschaftlich bedingt ist und durch Machtbeziehungen beeinflusst gelebt wird.

Außerdem zählen die sexuellen Bedürfnisse der Prostituierten, welche in der Prostitution mit Füßen getreten werden, den BefürworterInnen des Sexkaufs offensichtlich nichts. Es geht ihnen vor allem darum, das Männerrecht Sex zu kaufen aufrecht zu erhalten. Doch warum? Erwachsene Männer, die Sex wollen, haben in unserer Gesellschaft viele Möglichkeiten und sind nicht darauf angewiesen, einen anderen Menschen als ihr Objekt zu erniedrigen. „Internationale Studien zeigen, dass die Mehrheit der Sexkäufer verheiratet oder in einer Beziehung sind und zudem öfter eine größere Anzahl von SexualpartnerInnen hat, als der Rest der männlichen Bevölkerung. Die Prostitution als soziale Institution zu rechtfertigen würde bedeuten, dass manche Frauen für die “Bedürfnisse“ dieser Männergeopfert werden müssten. Glücklicherweise sind Sie, Ihre Schwester/Frau/Tochter/Freundin keine davon. Frauen in der Prostitution sind zuallererst Frauen, sie sollten alle dieselben Rechte und dieselbe menschliche Würde genießen.“ (EWL)

Prostitution basiert auf einem Konzept von männlicher Sexualität, das wir, die UnterzeichnerInnen, persönlich ablehnen und für gesellschaftlich schädlich halten.

3. „Prostitution ist keine Gewalt.“

Zitat: „Nicht zuletzt würde Sex zwischen Freiern und Sexarbeiter*innen, auch das ist nicht zutreffend, wegen des Merkmals „Entgeltlichkeit“ zu Gewalt stilisiert.“

In der Realität ist Prostitution regelmäßig mit massiver Gewalt verbunden. Eine internationale Befragung von 854 Prostituierten aus neun Ländern ergab zu diesem Thema folgende Antworten:

  • 64% wurden in der Prostitution mit einer Waffe bedroht (Deutschland 52%)
  • 73% wurden körperlich angegriffen (Deutschland: 61%)
  • 57% wurden in der Prostitution vergewaltigt (Deutschland: 63%)
  • 59% der in der Prostitution vergewaltigten Frauen wurden mehr als fünf Mal vergewaltigt (Deutschland: 50%)
  • 75% waren aktuell oder in der Vergangenheit einmal obdachlos (Deutschland: 74%)
  • 59% wurden als Kind von einer betreuenden Person blau geschlagen oder verletzt (Deutschland; 48%)
  • 63% wurden als Kind sexuell missbraucht (Deutschland: 48%)

Die Prostitutionsüberlebende Rachel Moran schreibt dazu: „Gewalt ist der Prostitution ebenso eigen wie jedes andere Element der Negativität. Wenn etwas noch allgegenwärtiger vorhanden ist als Gewalt an sich, so ist es deren Androhung. […] Auf jedes Mal, das ich geschlagen, verprügelt oder an den Haaren herumgezerrt worden bin, kommen unzählige subtile oder offene Androhungen solcher Handgreiflichkeiten.“(1) Auch die Webseite Sexindustry kills, auf der Prostituiertenmorde und Mordversuche dokumentiert werden, unterstreicht die Gefährlichkeit der Prostitution.

Darüber hinaus ist das langfristige psychische und körperliche Leid, das Prostitution verursacht, zu berücksichtigen. Prostitution ist nur durch die Aufspaltung in ein öffentliches „Ich“ und ein privates „Ich“ zu ertragen, von TherapeutInnen „Dissoziation“ genannt. Fast alle Prostituierten berichten von Schutzmechanismen, die dazu dienen ihr privates Selbst vor dem Zugriff des Käufers zu schützen. Doch die permanente psychische Aufspaltung und die
Unterdrückung von Emotionen wie Angst, Fluchtreflex, Ekel und so weiter, haben ihren Preis. Viele Prostituierte und AussteigerInnen leiden an posttraumatischem Stress, mit den gleichen Symptomen wie Vergewaltigungsopfer. Ihr Selbstrespekt und ihr Selbstwertgefühl werden zerstört. Noch Jahre nach dem Ausstieg haben sie mit den Bildern in ihrem Kopf zu kämpfen, die sie im Alltag und auch in ihren persönlichen Beziehungen immer wieder einholen. Dies fiel bereits in den 80er Jahren skandinavischen WissenschaftlerInnen durch zahlreiche Tiefeninterviews mit Prostituierten auf (2). Ausgehend von ihren Erkenntnissen setzte sich in Schweden und Norwegen die Wahrnehmung von Prostitution als Gewalt gegen Frauen (und einige Männer und Transsexuelle) durch. In den letzten Jahren sind führende deutsche TraumatherapeutInnen unabhängig zu demselben Resultat gelangt. Sie haben einen Aufruf „Scientists for a world without Prostitution“ gestartet und betreiben eine Website mit sehr interessanten Beiträgen. Wer ihre Erkenntnisse nicht zur Kenntnis nimmt, hat über Prostitution noch nicht wirklich nachgedacht!

4. „Prostitution ist Arbeit wie jede andere auch.“

Zitate: „(…) es gelten dieselben Forderungen an gute Arbeit wie in anderen Berufen auch.“ Zitat: „Dass die Fließbandarbeiterin oder die Altenpflegerin große Lust bei ihrer Tätigkeit verspürt, ist zu bezweifeln. Ebenso wie eine Pflegerin, die sich vor Fäkalien ekelt, ist auch eine Prostituierte, die sich etwa vor Sperma ekelt, in einer belastenden Berufssituation.“

„Kennen Sie einen anderen Job, bei dem die Sterberate 10 bis 40 Mal über dem Durchschnitt liegt? Bei dem 60 bis 80% der “ArbeiterInnen“ regelmäßig sexuell oder psychisch missbraucht werden? Wenn es ein Job wie jeder andere ist, wie kann es sein, dass so wenig Frauen aus Westeuropa diese Chance ergreifen? Wie kann es sein, dass die überwältigende Mehrheit Migrantinnen sind? Bedeutet das, dass dieser sogenannte “Job” nur für die EinwanderInnen in Ihrem Land gedacht ist? Sollten wir diesen Job, im Sinne der Gleichberechtigung, auch unter Männern anpreisen? Es gibt Gewerkschaften, die Prostitution nicht als normalen Job sehen, da dieser mit bestimmten Kriterien wie zum Beispiel Sicherheit, Würde und Aufstiegsmöglichkeiten eines Berufes unvereinbar ist.“ (EWL) Laut dem Bundeslagebericht Menschenhandel des Bundeskriminalamtes von 2017 kommen etwa zwei Drittel der Opfer aus Osteuropa, vor allem aus Bulgarien und Rumänien. Der Anteil ethnischer Minderheiten ist unter Prostituierten allgemein sehr hoch. Die Verklärung rassistischer Ausbeutung als Lohnarbeit sollte für LINKE inakzeptabel sein.

Der fragwürdige Vergleich von Prostitution mit Lohnarbeit hat noch weitere bedenkenswerte Konsequenzen:

  • Wenn sich die Auffassung gesellschaftlich durchsetzen sollte, dass Prostitution eine normale Arbeit sei, dann werden die Jobcenter dazu übergehen, Erwerbslose unter Sanktionsdrohung an Bordelle zu vermitteln. Bisher verhindert nur ein Urteil des Bundessozialgerichtes, dass dies im großen Stil geschieht.
  • Es spräche dann auch nichts dagegen, dass Zuhälter und Bordellbesitzer bei Orientierungsveranstaltungen an den Schulen für diesen „Job“ Reklame machen.

Zitat: „Als LINKE setzen wie uns für umfassende soziale Sicherheit und Bildung und eine freie
Berufswahl ein.“

Das andernorts selbstverständliche Zitat wirkt in diesem Kontext unfreiwillig absurd. Es ist aber zu befürchten, dass es ernst gemeint ist. Tatsächlich setzen viele ProstitutionsbefürworterInnen auf eine Verschönerung und Normalisierung der Prostitution, oft auch als Professionalisierung bezeichnet, beklagen, dass das erhoffte Wunder einer Humanisierung der Prostitution ausbleibt und fordern zur Abhilfe „mehr von der gleichen Medizin“.

5. „Es gibt auch freiwillige Prostitution.“

Zitat: „Es gibt aber auch die Prostitution, die freiwillig und zu weitgehend selbst gestalteten Bedingungen angeboten wird.“

„50% bis 90% der Frauen in der zugelassenen Prostitution “arbeiten unfreiwillig”. Diese Zahlen wurden 2008 durch eine Studie des Segments der legalisierten Prostitution namens “Keeping up appearances” durch die [niederländische] nationale Polizei veröffentlicht. Diese zeigt eine sehr besorgniserregende Einschätzung der Gesetzeslage zur Zuhälterei. Die unmittelbare Ursache dieser Studie war der Sneep-case, in dem zwei deutsch-türkische Zuhälter zusammen mit 30 Komplizen für Ausbeutung an und Gewalt gegen mehr als 100 Frauen in den Niederlanden, Deutschland und Belgien verurteilt wurden. Auffallend hier war, dass all diese Frauen, die mit Einwirkung extremer Gewalt ausgebeutet wurden, legal in lizenzierten und steuerzahlenden Bordellen tätig waren.“ (EWL)

Bei der oben schon zitierten Befragung von 854 Prostituierten aus 9 Ländern war der häufigste Wunsch der Prostituierten (89% der Antworten), die Prostitution zu verlassen.

Solche Daten zeigen: Die Mehrzahl der Prostituierten prostituiert sich mangels Alternativen, um noch größerer Not zu entgehen. Sie spielen nach Regeln, die andere gemacht haben. Das als „freiwillig“ zu bezeichnen ist schon ziemlich unkritisch, wenn nicht gar zynisch.

„Manche Menschen akzeptieren es unter dem Mindestlohn zu arbeiten (vor allem nicht erfasste MigrantInnen zum Beispiel); manche akzeptieren es sogar ihre Organe zu verkaufen. In beiden Fällen hat unsere Gesellschaft entschieden die verletzlichste Gruppe zu beschützen und so ein angemessenes Leben für alle zu garantieren: denn in solchen Fällen sieht das Recht vor, die ArbeitgeberIn oder die KäuferIn des Organs zu verurteilen. So sollte das Gesetz auch die KäuferIn des Sex kriminalisieren, nicht die Person, die sich prostituiert. Manche Menschen können vielleicht wirklich behaupten sich frei für die Prostitution entschieden zu haben, aber eine demokratische Gesellschaft gründet sich nicht auf Basis individueller Behauptungen, welche nicht die Situation der Mehrheit widerspiegeln. Hier steht die Zukunft, die wir gestalten, die Gesellschaft, in der wir leben möchten, auf dem Spiel. Und in diesem Moment sollte es uns wichtiger sein für das Recht von Frauen und Männern zu kämpfen, sich nicht zu prostituieren.“ (EWL)

Sieben linke Mythen über das Sexkaufverbot

Der Aufruf „LINKE für ein Welt ohne Prostitution“ fordert auch eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem Sexkaufverbot, wie es bereits in Schweden, Norwegen, Island, Frankreich und demnächst auch in Israel und diversen anderen Ländern Gesetz ist. Das ist nicht das gleiche wie ein Sexkaufverbot zu fordern.

Wir verstehen gut, dass auch für Genossinnen und Genossen, die die Prostitution grundsätzlich überwinden wollen, die neuartige Idee eines Sexkaufverbots Fragen aufwirft und sorgfältig diskutiert werden muss. Birkwald und CoautorInnen argumentieren in ihrer Antwort auf den Aufruf nicht nur für Prostitution, sondern auch gegen ein Sexkaufverbot. Das wollen wir gerne aufnehmen, um die linke Diskussion zum Sexkaufverbot voranzubringen. Wir haben bei Birkwald und CoautorInnen sieben Mythen über das Sexkaufverbot gefunden, die wir hier in Frage stellen wollen. Wir sind uns bewusst, dass wir damit nicht für alle UnterzeichnerInnen des Aufrufs sprechen. Auch hier zitieren wir wieder mehrfach aus den „18 Mythen“ der European Womenʼs Lobby (EWL).

1. „Sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung sind mit dem Sexkaufverbot unvereinbar.“

Zitat: „Wir als LINKE (treten ein) für die Freiheit der sexuellen Orientierung und die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Mit diesen Zielen ist es nicht vereinbar, dass DIE LINKE jede Form von Sexkauf pauschal ablehnt.“

Die Prostitutionsüberlebende Rachel Moran berichtet von drei Arten von Sexkäufern: Jene, die sich der Menschlichkeit der Prostituierten überhaupt nicht bewusst sind und ihr diese auch nicht zugestehen, jene, die sich dafür entscheiden die Menschlichkeit der Prostituierten bewusst auszuklammern, und jene, die sich der Menschlichkeit der Prostituierten voll bewusst sind und sich daran ergötzen, „deren Bedeutung auf null zu reduzieren“ (3). Auch eine neue Vergleichsstudie zwischen Sexkäufern und Männern, die keinen Sex kaufen, zeigt dass Sexkäufer häufiger sexuell aggressive Einstellungen vertreten, weniger Empathie entwickeln und sexuell gewalttätiges, antisoziales Verhalten an den Tag legen.v In der Prostitution wird man „wie eine lebende, aufblasbare Sexpuppe behandelt, deren einzige Bestimmung es ist, sich hinzulegen und wortwörtlich einzustecken“(ii). Prostituierte sollen keine Lust empfinden. Meist denken sie beim Sex mit Käufern an alles andere als Sex, versuchen, die Käufer schnellstmöglich zum Orgasmus zu bringen und sind froh, wenn es vorbei ist. Geschieht es in einem äußerst seltenen Fall, dass sie beim Sex mit einem Käufer zum Orgasmus kommen, versuchen sie dies möglichst zu verheimlichen. Was hat das mit sexueller Freiheit und Selbstbestimmung zu tun?

Und: „Lassen Sie uns genauer sein: über wessen sexuelle Freiheit sprechen wir? Jede und Jeder stimmt zu, wenn wir sagen, dass sexuelle Freiheit darin besteht, dass wir über unsere sexuelle Gesundheit und Rechte, basierend auf Gleichheit, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt (Definition der Weltgesundheitsorganisation) verfügen. Prostitution hat nichts mit Sex zu tun, sondern mit Macht: der Kauf von Sex bedeutet die Aberkennung der Lust des
anderen Menschen. Für Sex zu bezahlen ist die Aberkennung dieses individuellen Rechts und beinhaltet eine weitreichende Entmachtung der sexuellen Selbstbestimmung eines Menschen. In anderen Worten: wer von sexueller Freiheit spricht, kann damit nie Prostitution meinen. Die Menschen, die die Abschaffung der Prostitution befürworten, sind für Sex: sie möchten authentische sexuelle Freiheit und Gleichheit zwischen Frau und Mann. Und dies kann nicht erreicht werden, solange Sexualität unter Einfluss des Marktes steht.“ (EWL)

2. „Ein Sexkaufverbot richtet gegen Menschenhandel nichts aus.“

Zitat: „Zwangsprostitution, Kinderprostitution, sexualisierte Gewalt, Menschenhandel und Freiheitsberaubung sind Verbrechen und (…) gehören nach den bereits bestehenden Gesetzen bestraft. Das Vollzugsdefizit wird durch eine Kriminalisierung von Freiern nicht beseitigt.“

„Wenn Prostitution nichts mit Menschenhandel zu tun hat, warum genau werden Frauen gehandelt? Nach Angaben der EU geschieht 62% des Handels mit dem Ziel einer sexuellen Ausbeutung. Menschenhandel agiert profitorientiert und steht in direkter Verbindung mit den Märkten der Prostitution, auf denen die Nachfrage das Angebot bestimmt. Schätzungen zufolge liegt der Gewinn aus Menschenhandel für sexuelle Ausbeutung bei 27.8 Milliarden US$. Und woher kommt dieses Geld? Von den Käufern, wie auch in jedem anderen Geschäft. Deshalb sind Prostitution und Menschenhandel untrennbar miteinander verbunden.“ (EWL)

Ein Sexkaufverbot packt das Übel bei der Wurzel, in dem es die Einnahmen der kriminellen Netzwerke schmälert. Wo es keine oder kaum Nachfrage gibt, lohnt es sich auch nicht, Prostitution zu organisieren. Die Evaluationen der nordischen Gesetze kommen zu dem Schluss, dass die Sexkaufverbote Norwegen und Schweden weniger attraktiv gemacht haben für Menschenhändler. Trotz des beschränkten Datenmaterials deuten wissenschaftliche Untersuchungen außerdem darauf hin, dass wohlhabende Länder, in denen Prostitution, Zuhälterei und der Betrieb von Bordellen legal sind oder faktisch kaum verfolgt werden – wie etwa Deutschland und die Niederlande – zu den wichtigsten Zielländern des Menschenhandels zählen.

3. „Eine Bestrafung der Sexkäufer drängt die Prostituierten in die Illegalität.“

Zitat: „Jede Kriminalisierung des Berufs oder der Tätigkeit, auch eine Bestrafung der „Freier*innen“, stigmatisiert und drängt die Anbieter*innen zurück in die Illegalität. Wer die Kriminalisierung von Prostituierten ablehnt, muss daher die Forderung nach dem Sexkaufverbot ablehnen (…).“

Anscheinend ist es für manche schwierig zu begreifen: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen der restriktivsten Herangehensweise der Prohibition, die alle Beteiligten (auch die Prostituierten selbst) bestrafen will, und der weniger restriktiven Herangehensweise der Abolition, die ausschließlich auf die Käufer, Zuhälter und Händler zielt, sprich, auf die Personen, die die Macht der Entscheidungsfreiheit haben. Jeden und jede zu bestrafen ändert nicht die Basis des Systems und die vergeschlechtliche Natur der Prostitution. Bei der Abolition handelt es sich darum, auf die strukturellen und ökonomischen Probleme und die psychologische und physiologische Gewalt, die Teil der Prostitution ist, einzugehen und daher die betroffenen Personen zu beschützen und die Täter, wie zum Beispiel die Käufer, zu bestrafen. Die AbolitionistInnen wollen darüber hinaus konkrete Alternativen für Prostituierte schaffen und Mentalitäten ändern.“ (EWL)

4. „Das Sexkaufverbot hat negative Effekte für die Prostituierten.“

Zitat: „Verschiedene Auswertungen dieses Modells, auch von feministischer Seite, haben gezeigt, dass mitnichten Prostitution verschwunden ist und die Prostituierten „befreit“. Im Gegenteil sind an vielen Stellen negative Effekte, auch auf die Prostituierten festzustellen, die damit ebenfalls in die Illegalität gedrängt werden“.

Ziele des Sexkaufverbots in Schweden und Norwegen waren eine Eindämmung von Menschenhandel und Prostitution und eine Einstellungsveränderung bei den bisher zum Sexkauf bereiten Teilen der männlichen Bevölkerung. Diese Ziele scheinen erreicht zu sein, wie den wissenschaftlichen Evaluationsberichten (Schweden, Norwegen) zu entnehmen ist. Dagegen hatte niemand erwartet, dass die Prostitution durch das Sexkaufverbot komplett verschwinden wird. Als Beleg für die behaupteten negativen Effekte für die Prostituierten wird auf einen Aufsatz der schwedischen Autorin Petra Östergren verwiesen. Östergren behauptet z.B., dass der Rückgang der Straßenprostitution zu einem Rückzug der Prostituierten in illegale Clubs geführt habe, wo sie weniger sicher seien. Für eine Zunahme von Gewalt gegen Prostituierte gibt es nach Aussagen der schwedischen Polizei aber keine Anzeichen. Im Gegenteil führt „die Kriminalisierung von Sexkäufern (…) zu einer Veränderung des Verhältnisses zwischen Frauen und Käufern: die Käufer sind die Kriminellen. Prostituierte, die in Deutschland waren, bevor sie nach Schweden gingen, sagten zur Prostitutionsbekämpfungseinheit der Stockholmer Polizei, dass es viel mehr Gewalt in legalen Bordellen gäbe, da die dortigen Käufer als „Kunden“ alles machen dürften.“ (EWL) Andere von Östergren angeführte Beschwernisse der Prostituierten scheinen mehr mit den restriktiven Ausländergesetzen und anderen Gesetzen zu tun zu haben.

Östergren wird von Prostitutionsbefürwortern weltweit als Kronzeugin gegen das „schwedische Modell“ zitiert. Von schwedischen WissenschaftlerInnen dagegen wird ihr in der wissenschaftlichen Diskussion in Bezug auf frühere Veröffentlichungen „Desinformation“ vorgeworfen. Östergren bezeichnet sich als Feministin. Das ist keine geschützte Marke. Man sollte aber wissen, dass alle relevanten schwedischen Frauenverbände, feministisch oder nicht, das Sexkaufverbot entschieden unterstützen. In dem referenzierten Aufsatz versuchen Östergren und ihre Koautorin, durch zahllose Zitate den Eindruck zu vermitteln, dass die Wirkungen des Sexkaufverbots im Lande komplett umstritten seien. Doch trotz der immer wieder angefachten Diskussionen stehen eine große Mehrheit der Bevölkerung, die Gewerkschaften, Sozialdemokraten, Linke, das Zentrum, die Konservativen und die Feministische Partei hinter dem Sexkaufverbot.

Es gibt eine Regierung in Schweden, die mehrfach und unter unterschiedlichen Regierungsparteien umfangreiche wissenschaftliche Evaluationen des Sexkaufverbots beauftragt hat. Auch in Norwegen liegt ein erster Evaluationsbericht vor. Wer diese Berichte und die sonstige wissenschaftliche Diskussion nicht zur Kenntnis nimmt und sich ausschließlich an umstrittenen Einzelstimmen orientiert, ist sehr einseitig informiert.

5. „Das Sexkaufverbot knüpft an §175 StGB (Strafbarkeit homosexueller Handlungen) an.“

Zitat: (Das nordische Modell) „liefe darauf hinaus, einvernehmliche Sexualkontakte unter Erwachsenen unter Strafe zu stellen. Eine Argumentation, die an die Strafbarkeit homosexueller Sexualhandlungen vor Abschaffung des § 175 StGB anknüpft.“

Für diese diffamierende Behauptung gibt es keinerlei Beleg. Wer so argumentiert, hat den Unterschied zwischen sexueller Freiheit und der gekauften Verfügung über einen fremden Körper nicht verstanden. Auch historisch betrachtet handelt es sich um kompletten Unfug. Norwegen und Schweden gelten als Länder, in denen es um den Schutz Homosexueller vor Diskriminierung vergleichsweise gut bestellt ist. Die entsprechenden Gesetze zur Straffreiheit, Verbot von Diskriminierungen, eingetragenen Partnerschaften und Ehe für alle wurden meist früher als in Deutschland verabschiedet. Die dafür erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten wurden von denselben linken und halblinken Parteien und teils denselben Parlamentariern gebildet, die auch das Sexkaufverbot durchgesetzt haben.

6. „Das Sexkaufverbot ist konservativ.“

Zitat: „Die uralte und konservative Ablehnung von Sexkauf ist (…) nicht hilfreich“

Die Ablehnung von Sexkauf ist nicht uralt und nicht konservativ. Das erste Sexkaufverbot der Welt trat am 1.1.1999 in Schweden in Kraft. Es war von den linken und halblinken Parteien im Parlament durchgesetzt worden, gegen den Widerstand der Konservativen und mit der Unterstützung der Gewerkschaften und aller relevanten Frauenverbände des Landes. In Norwegen verlief der politische Prozess zehn Jahre später ganz ähnlich.

Uralt und konservativ ist jene Doppelmoral, wonach die Prostituierten kriminalisiert und gegängelt werden, während einige Herren der Schöpfung sich ihrer diskret bedienen, ohne die geringsten Konsequenzen befürchten zu müssen.

Auch zahlreiche linke Parteien in anderen Ländern unterstützen die Forderung nach einem Sexkaufverbot, etwa in Frankreich, wo die linken Parteien mit den Sozialdemokraten in 2016 ein Sexkaufverbot durchsetzen wollen.

Zitat: „Die Forderung nach einer Kriminalisierung von Freiern bedeutet zudem, mit politischen Kräften zusammenzuarbeiten, die hierbei nicht stehen bleiben wollen. (…) Sie werden auch die direkte Kriminalisierung vorantreiben (…).

DIE LINKE sollte die Zusammenarbeit mit den wachsenden zivilgesellschaftlichen Gruppen suchen, die für ein Sexkaufverbot eintreten. Mit Kräften, die für eine Kriminalisierung oder Gängelung von Prostituierten eintreten, sollte DIE LINKE nicht zusammenarbeiten. Die behauptete Dynamik, nach der das eine aus dem anderen folgen würde, ist halluziniert. In der Praxis ist es nicht schwer festzustellen, ob ein potentieller Partner der einen oder der anderen Logik folgt.

7. „Das Sexkaufverbot stigmatisiert Sexkäufer.“

Zitat: „Eine solche Ablehnung beinhaltet bereits Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung von allen, die zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse entsprechende Dienstleistungen in Anspruch nehmen bei solchen, die entsprechende Dienstleistungen freiwillig anbieten.“

Zu den „menschlichen Bedürfnissen“, die in Wirklichkeit unbeherrschte männliche Triebe und eine Form sexueller Gewalt sind, und zur „Freiwilligkeit“ wurde oben schon das Nötige gesagt.

Modernes Strafrecht verfolgt zwei Ziele:

  1. Im Interesse der Allgemeinheit verbindliche Verhaltensanforderungen zu setzen. Mit den bisher erkennbaren Einstellungsveränderungen der männlichen Bevölkerung ist das in Schweden zweifellos gelungen.
  2. Bei Verstößen den Täter auf den Weg der Besserung und Resozialisierung zu führen.

Hierzu muss man wissen, dass in der Anwendung des Gesetzes in Schweden die meisten Täter in nichtöffentlichem Verwaltungsverfahren – ähnlich wie ein „Knöllchen“ in Deutschland, nur teurer – mit einem Bußgeld davon kommen. Nur bei Widerspruch des Beschuldigten oder in besonders schweren Fällen kommt es zur öffentlichen Gerichtsverhandlung. Gefängnisstrafen werden extrem selten verhängt. Es gibt soziale Anlaufstellen für Sexkäufer, in denen diese auch anonym mit TherapeutInnen ins Gespräch kommen können und Hilfestellung erhalten bei dem Versuch, ihr Verhalten zu ändern. Diese Rechtspraxis vermittelt einen besonnenen Eindruck, von „Stigmatisierung und Ausgrenzung“, gar von „Diskriminierung“ keine Spur. Was bleibt, und das ist wohl der Anlass der Klage: Das Gesetz gibt einen verbindlichen Rahmen vor. Wer sich darüber hinwegsetzt, bricht das Recht und muss mit Strafe rechnen.

 

Quellen, soweit nicht verlinkt:

1: Moran, Rachel: Was vom Menschen übrig bleibt. Die Wahrheit über Prostitution. Tectum Verlag, Marburg 2015, S. 170.
2: Siehe für Norwegen Høigård, Cecilie und Liv Finstand: Seitenstraßen. Geld, Macht und Liebe oder Der Mythos von der Prostitution. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1987. Siehe für Schweden Borg, Arne, Folke Elwien, Michael Frühling, Lars Grönwall, Rita Liljeström, Sven-Axel Månsson, Anders Nelin, Hanna Olsson und Tage Sjöberg: Prostitution. Beskrivning. Analys. Forslag til åtgärder (Prostitution. Beschreibung. Analyse. Vorschläge für Maßnahmen). Liber, Stockholm 1980.
3: Moran, Rachel, siehe oben, S. 148f.

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