Am 23.02.2024 wurde anlässlich eines Antrags der CDU / CSU Fraktion das Nordische Modell erstmals im deutschen Bundestag debattiert.


Die Diskussion war für uns Anlass für folgendes Statement:

Wir, LINKE für eine Welt ohne Prostitution, haben die Debatte im Bundestag vom 23.2.2024 zum Antrag der CDU, „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“, mit großem Interesse verfolgt. Wir gratulieren der CDU-Fraktion dazu, dass sie nun geschlossen das nordische Modell unterstützt. Die Forderungen im Antrag teilen wir alle, mit einer Ausnahme: Statt wie die CDU nur „Rückkehrprogramme“ für Frauen in der Prostitution in ihre Heimatländer zu fordern, setzen wir uns ein für Starthilfen in ein neues Leben für alle, unabhängig davon wo die Betroffenen leben wollen. Außerdem fordern wir eine bedingungslose Aufenthaltserlaubnis für alle Opfer von Menschenhandel in Deutschland. Wir sind auch der Meinung, dass man den Menschenhandel nach Deutschland nicht unabhängig von den Kriegen und Krisen auf dieser Welt begreifen kann. Wer Waffen in Kriegsgebiete schickt, statt auf Verhandlungslösungen hinzuarbeiten, heizt Kriege an, die abertausende Frauen in die Prostitution zwingen.

Abgesehen davon beinhaltet der Antrag zahlreiche wesentliche Forderungen der abolitionistischen Bewegung für die Überwindung der Prostitution:

  • Die völlige Entkriminalisierung der Menschen in der Prostitution, die in Deutschland bis heute nicht gegeben ist
  • Bessere Finanzierung von umfangreichen Ausstiegshilfen mit intensiver Betreuung, die wirklich eine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen
  • Das Verbot, aus der Prostitution anderer einen Nutzen zu ziehen
  • Das Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten
  • Das Verbot von Sexkauf
  • Schulungen zum Umgang mit Opfern für Polizei, Justiz, etc. Präventionsarbeit, Aufklärungsarbeit

Dies ist eine radikale Abkehr von der neoliberalen deutschen Prostitutionspolitik, hin zu einer Prostitutionspolitik, die tatsächlich zum Ziel hat, §1 des Grundgesetzes, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, in die Tat umzusetzen. Als demokratische SozialistInnen unterstützen wir diesen Weg. Wir möchten in einer Welt leben, in der die Geschlechter gleichgestellt sind und in der Sex keine Ware ist. Wir beglückwünschen die abolitionistische Frauenbewegung, der es gelungen ist, für dieses Programm Aufklärung in der CDU/CSU zu leisten. Dass die CDU die erste Partei sein würde, bei der dieses Programm mehrheitsfähig wird, haben wir nicht erwartet. Wir freuen uns darüber. Wenn die stärkste Partei in Deutschland das nordische Modell fordert, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es eingeführt wird. Abgeordnete, die das nordische Modell bisher noch ablehnen, sollten sich fragen, wie sie ihre Haltung dazu der nächsten Generation erklären werden.

Zur Bundestagsdebatte ist ansonsten zu sagen, dass es nicht den Tatsachen entspricht, wenn unsere Gruppenvorsitzende, Heidi Reichinnek, behauptet, Die Linke sei geschlossen gegen das nordische Modell. Tatsache ist vielmehr, dass in der Linken dazu seit Jahren eine Diskussion stattfindet, bei der wir uns hochgradig uneins sind. Unser Kandidat für das Amt zum Bundespräsidenten, Gerhard Trabert, aktuell einer der Spitzenkandidaten zur EU-Wahl, distanziert sich beispielsweise klar von Prostitution und fordert das nordische Modell. Unseren Aufruf „LINKE für eine Welt ohne Prostitution“ haben hunderte Mitglieder unterzeichnet. Auch in der Linksjugend halten viele Sexkauf nicht für „woke“. Genossin Reichinnek hätte sich ein Beispiel nehmen sollen an den Rednerinnen der SPD, die offen zugeben, dass das nordische Modell parteiintern diskutiert wird. Wir versprechen dir, Heidi: Die Debatte ist noch nicht abgeschlossen. Wenn es nach uns geht, wird Die Linke nicht als Sexkäufer-Partei in die Geschichte eingehen.

Reichinnek behauptet auch, dass das nordische Modell einem „Berufsverbot“ gleichkäme und dass es „zahlreiche Studien“ gäbe, die belegten, dass es die Prostitution in den Untergrund treibe und nicht reduziere. Wir protestieren entschieden gegen derartige unseriöse, falsche Behauptungen. Es ist traurig, dass Dorothee Bär von der CSU in der Lage ist, den „Rassismus, Klassismus und Sexismus“ in der Prostitution als solchen zu benennen, Heidi Reichinnek hingegen nicht. Wir erwarten in Zukunft von unseren Abgeordneten im Bundestag eine bessere Analyse der menschenunwürdigen Zustände, denn wie Rosa Luxemburg schon sagte: „Zu sagen was ist, ist eine revolutionäre Tat.“ Gewalt schönzureden damit, dass es sich angeblich um „sexuelle Selbstbestimmung“ handele, kann nicht das Programm der Linken sein.

Im Übrigen nehmen wir zur Kenntnis, dass auch die SprecherInnen von AfD, FDP, und den Grünen mehr oder weniger die gleiche Linie vertreten: Dass man die Auswüchse eindämmen müsse, dass gleichzeitig jedoch „Sexarbeit“ keine Menschenrechtsverletzung sei und „Kunden“ nicht ausnahmslos Täter. Thomas Ehrhorn von der AfD vertritt am ehesten eine klassisch reaktionäre Haltung, deutet er doch an, dass man die Frauen nicht ungestraft lassen könne, wenn man die „Kunden“ kriminalisiere. Abgesehen davon trennt die RednerInnen nicht viel, wollen sie doch vor allem eines: Die Prostitution in Deutschland weiter gedeihen lassen, unter dem neoliberalen Deckmäntelchen der angeblichen „Freiwilligkeit“.

Wir unterstützen den Vorschlag Leni Breymaiers (SPD), im Bundestag eine parteiübergreifende Mehrheit für das nordische Modell zu organisieren. Die Abgeordneten sollten in dieser Frage vom Fraktionszwang entbunden werden. Für die Frauen und anderen in der Prostitution, die in Deutschland täglich misshandelt und missbraucht werden, zählt jeder Tag.

In Schweden wurde das Modell zuerst eingeführt, mit auf Betreiben der schwedischen Linkspartei. Auch in Norwegen hat es die uneingeschränkte Unterstützung aller linken Parteien und Organisationen, inklusive der Gewerkschaften.¹ Das nordische Modell baut auf der emanzipatorischen Tradition der Linken auf. Über die deutsche Propaganda wird in unseren nordischen Schwesterparteien nur der Kopf geschüttelt. Männer in den nordischen Ländern stehen Sexkauf deutlich negativer gegenüber.² Und auch das EU-Parlament fordert das nordische Modell.

Deshalb, liebe Abgeordnete der Linken, aber auch der SPD und der Grünen: Bitte lasst euch endlich auf eine ernsthafte Auseinandersetzung damit ein.

 

¹ Siehe Sass, Katharina (Hrsg.) (2017). Mythos ‚Sexarbeit‘. Argumente gegen Prostitution und Sexkauf. Köln: PapyRossa Verlag.

² Siehe Jonsson, Sofia & Niklas Jakobsson, 2017, Is buying sex morally wrong? Comparing attitudes toward prostitution using individual- level data across eight Western European countries, Women‘s Studies International Forum, 61, 58-69, https://doi.org/10.1016/j.wsif.2016.12.007.


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